Volltext: Jahresbericht 1978 (1978)

Aber sogar diese 1954 entstandene Studie bewahrt 
gegenüber der Skulptur noch eine gewisse Eigen- 
ständigkeit. Nicht nur sind Merkmale einer anderen 
Plastik, der « Broche» (1953), eingekreuzt, näm- 
lich bauchig gewölbte Elemente, die an der «Lan- 
gouste» fehlen; auch ist an der Zeichnung das 
Vortastende oder Vorprellende des plastischen Scha- 
lentiers nicht deutlich herausgebildet. Schliesslich 
suggeriert die Zeichnung eine etwas andere Lösung, 
als sie dann tatsächlich realisiert wurde. Ihr zufolge 
hätte die Plastik nurmehr punktuell (an drei Stellen) 
auf dem Boden aufruhen sollen. 
gegeben, ihr Haar mähnenartig, mit wenigen, 
ungezügelten Linien evoziert; der üppige Mund, die 
dunkelste Stelle in der Zeichnung, hat etwas 
Saugendes; die Brüste sind gross und schwer; forma 
kühn der zusammenraffende Brauenbogen, der 
in einem Schwung in den Wangenkontur übergeht 
und von dem auch die Nasenkante direkt abzweigt. 
Drei Blätter (sie tragen wie bei Müller überhaupt 
häufig die Bezeichnung « Ohne Titel») lassen sich zu 
einer eigenen Gruppe zusammenfassen, weil auf 
ihnen plastisches Volumen suggeriert wird. Das Blatt 
von 1954 kombiniert mittels Pinsel und Textilfarbe 
Im weiteren möchte ich mich enger an die chrono- ziegelrote schotenähnliche und sackartige Gebilde 
logische Folge der Zeichnungen halten, wobei aller- von organischer Weichheit mit scharfen Winkel- 
dings zu sagen ist, dass sich bei Müller die ver- formen. Deren Körperlichkeit wird durch schwarze 
schiedenen Schaffensphasen oft zeitlich überlappen. Schraffur hervorgerufen. Das Blatt von 1956 
«La Femme (Miriam) », das älteste Blatt des An- zeigt eine stelenartige Gestaltung, bei der sich zwei 
kaufs, stammt aus dem Jahr 1948. Als Plastiker bei Müller wiederkehrende Motive, nämlich eine 
arbeitete Robert Müller zu der Zeit noch in einem Hand und der Kelchbecher einer Blume, ineinander 
verhältnismässig traditionellen Sinn figurativ. verschränkt haben. Diese «Blumenhand» hebt 
Er kreiste damals um dasselbe Thema, das auch im sich in Violettrosa von einem schwarzen Grund ab, 
Blatt «La Femme» angeschlagen wurde. Die der da und dort als darunterliegende Schicht 
ersten gültigen Frauenfiguren, 1945/46 entstanden, dasselbe Violettrosa freigibt. Bei dem 1957 gezeich- 
blieben in einem Bereich zwischen Realistik und neten Blatt dieser Dreiergruppe (wiederum mit 
massvoller Idealisierung. Drei Jahre später, vielleicht Rohrfeder und Nussbaumbeize) wird Plastizität mit- 
unter dem Einfluss von Germaine Richier, schlugen tels Verschlingung und Überschneidung angedeutet. 
sie ins Antiklassische um. Was heissen will: die Diese Arbeit formuliert das von Robert Müller in 
geschmeidig-glatte Oberflächenhaut der Bronze oder der Skulptur häufig angegangene Thema der Ver- 
des Gipses wurde schuppig und aufgeklüftet, knotung. Sie legt erotische Assoziationen nahe, 
das Frauenbild ins Archaische oder Bedrohliche um- lässt an verschlungene Menschenleiber, an Kopula- 
gedeutet. Aber selbst « La Cloche» mit ihrem An- tion denken. Beziehungen zur eisengeschmiedeten 
hauch des Dämonischen und die noch stärker defor- «Saba» (1958) scheinen mir offensichtlich. 
mierte « Laila» (beide 1951), die einen mit in Nicht weniger als sechs Blätter, zwischen 1954 und 
tiefen Höhlen liegenden glotzend-kugeligen Aug- 1957 entstanden, weisen mehr oder weniger aus- 
äpfeln anstarrt, bleiben im Vergleich zur wilden geprägt schriftzeichenartigen Charakter auf. Man 
Krassheit der Zeichnung zurückhaltend. Müller hat muss sie Im Zusammenhang mit der damals in ganz 
mit der Rohrfeder und sepiafarbener Nussbaum- Europa in Blüte stehenden Strömung des Informel 
beize (einem ganz ungewöhnlichen, ihm ganz eige- sehen; allerdings handelt es sich bei Müller um ein 
nen zeichnerischen Mittel, das er häufig und zu Informel, das sich bereits wieder strukturiert hat. 
fast allen Zeiten verwendet) den Typus der ver- . Fünf Zeichnungen dieser Sechsergruppe gleichen 
Schlingenden Frau geschaffen. Sie ist als Brustbild formal in gewisser Hinsicht den etwa gleichzeitig 
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