Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

verdaut und ausgespien, aber auch mit einer rätselhaften 
Geschichte gesättigt, eignete sich Mirö an, verwandelte sie 
im Schmelztiegel seiner Vorstellungskraft und vereint sie 
zu neuen, unerwarteten Konfigurationen. Ihr neuer Sinn 
blitzt in den assoziativen Bezügen auf, deren unbewusste 
Pfade die Surrealisten so leidenschaftlich erforschten. 
Das «Peinture-objet» von 1931 (Abb. 13) gehört zu den sehr 
seltenen Arbeiten dieser Art. Mirö hatte nur wenige 
gemacht und von diesen lösten sich einige ihrer gebastelt 
unstabilen Natur nach bald auf. Es passt besonders gut ın 
die Sammlung des Kunsthauses, da sich in seinem 
verschmitzt ironischen Bezug zur Technik die innere 
Verwandtschaft zu DADA deutlich ausspricht. Offensicht- 
lich ist es Ja so eine Art Radio, oder, genauer gesagt, ein 
Sender-Empfänger: links etwas frontal einäugig Zyklopen- 
haftes mit grossem Maul: der Lautsprecher, dann über 
silberne Wölklein und Zahnrädchen die Übermittlung 
durch den Äther zum Adressaten im Profil. Dessen Gesicht 
ist ganz Ohr, mit Fühler-Haaren als Antennen ausgestattet; 
die Botschaft elementaren Charakters — rot, gelb, blau — 
aber prägt sich im Körper markant aus. Von was für Gerät- 
schaften wohl die Teilchen stammen? War das «Auge» 
oder «Gestirn» wohl ein Backförmchen, mit dem ein 
Mädchen im Sand spielte, oder fing es das Wachs einer 
Kerze auf? 
Die imposante «Grand personnage» (Abb. 14) entstand ein 
Vierteljahrhundert später, als Mirö mit Artigas zusammen 
in der uralten Technik der gebrannten Erde arbeitete. Alles 
Glatte und Kultivierte, wie es der Malerei notwendig eignet, 
wurde hier betont vermieden; das rohe Material soll durch 
offene Rauheit seine eigene Kraft den Werken mitteilen, 
wie es gleichzeitig die «Art brut» anstrebte. Während dem 
gegenüber der formale Aufbau, die Zusammensetzung 
abstrakter und gegenständlicher Teile meist unerwartet und 
gewagt wirkt, eignet der «Grand personnage» auch in dieser 
Hinsicht etwas Urtümliches: ein knollenartiger Kopf 
schwebt auf einem Obelisken. Dieser erinnert weniger an 
die erhaben vollendeten Monolithen Ägyptens als an stein- 
zeitliche Menhire; stets deuten diese ragenden Steine auf 
die Verbindung der Erde zum Kosmos, wie dies auch Mir6 
durch Stern und Sonne klar anzeigt. 
Zu dieser geometrisch scharfkantigen Grundform bildet 
der knollenartig organische Kopf einen extremen Gegen- 
satz, der durch den Unterschied im Material noch betont 
wird. Ähnliche Kontraste liebte Mirö auch bei der Stilisie- 
rung von Figuren in seinen Bildern. Umgekehrt sind das 
grotesk grosse Maul, die Scheiben der Augen und die 
Schlangenlinie von Brauen und Nase graphisch auf die 
Oberfläche eingeschrieben, deren Wölbung nur gering auf 
diese Zeichen Rücksicht nimmt; umso urtümlicher wirken 
diese Wülste. Die Gestaltung des Kopfes findet sich ähnlich 
schon 1946 in einer Zeichnung und 1953 ın einer Bronze; 
der Künstler hat auch später diese zwischen Humor und 
Schreck angesiedelte Larve wieder aufgegriffen («Kopf und 
Vogel» 1969). Wie nun dies dämonische Antlıtz in höchst 
prekärem Gleichgewicht über dem dreieckigen Himmels- 
Weiser erscheint und sich diesen als Leib aneignet, vermag 
den Betrachter zu verschiedenen Assoziationen und Reak- 
tionen zu provozieren; und so ist auch diese Skulptur 
Mirös einer von seinen immer wieder neu faszinierenden 
«Energiesender ın den Raum» (Dupin). 
Christian Klemm 
Verwendete Literatur: 
Christian Geelhaar: Paul Klee und das Bauhaus (Köln 1972), bes. S. 44-49. 
- Jürgen Glaesemer: Paul Klee. Die farbigen Werke im Kunstmuseum 
Bern (Bern 1976) bes. 5.162 f, 178-183, 333 ff. — Paul Klee. Das Werk der 
Jahre 1919-1933 (Ausst. Kat. Köln 1979) bes. Eva-Maria Triska: Die Qua- 
dratbilder Paul Klees (S. 43-78). - Jürgen Glaesemer: Paul Klee. Hand- 
zeichnungen III. 1937-1940 (Bern 1979; - Sammlungskataloge des Berner 
Kunstmuseums, Paul Klee Bd. 4). - Paul Klee. Spätwerke 1937-1940 
(Ausst. Kat. Bündner Kunstmuseum Chur 1986). 
Jacques Dupin: Miro, der Bildhauer (Genf o.J.). - Joan Mirö (Ausst. Kat. 
Zürich 1986). — Gloria Moure: Miro, der Bildhauer (Ausst. Kat. Köln 1987).
	        
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