Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

die eigentlichen, leicht gebogenen Flächen des Hammer- 
stückes und des «Halses» wie mit Glanzlichtern aufhellt. 
Noch stärker kommt dies im unmittelbar danach entstan- 
denen Materienzerstörer zum Ausdruck, wo die konkreten 
Hinweise auf Anthropomorphes, Zoomorphes und Vege- 
tabilisches noch weiter zurückgedrängt sind. Die ovoide 
Grundform, die an sich schon auf eine - womit auch immer 
zu verbindende - Keimzelle menschlichen oder tierischen 
Lebens bezogen werden kann, dringt mit verschiedenartig 
gestalteten Fortsätzen, Gliedern oder Antennen ın den 
Raum vor und nährt solcherart die gewagtesten Assozia- 
tionen, die von der (Leben imitierenden) «Filmkamera», als 
technischem Produkt, bis hin zum (vereisten) «Tiefkühl- 
poulet», als kreatürlichem «Produkt», reichen mögen... 
[m Unterschied zum Mutant und vor allem auch im Unter- 
schied zu den oben erwähnten Plastiken Picassos sind die 
einzelnen verwendeten Elemente nicht mehr als solche 
«ablesbar», wirken wie mit einer nivellierenden, gallertar- 
tigen Aussenhaut überspannt, die sie in ihrer Dinglichkeit 
anonymisiert. Die Farbfassung bewegt sich beim Materien- 
zerstörer lediglich in einer Schwarz-Grau-Weiss-Stufung 
und akzentuilert wiederum vor allem die Rundungen sowie 
die tief eingeschnittenen Kerben und rippenartigen Grate. 
Klaudia Schifferle kalkuliert in ihren Plastiken, die immer 
auch von einem skurrilen Humor beseelt werden, die 
Rezeptionsebene mit ein: es gelingt ihr, ein emotionelles 
Kräftespiel zu provozieren, das einerseits den Widerstand 
bis hin zur Ekelschwelle auslösen kann und andererseits in 
der beherrschten, plastischen Form relativiert wird. Beim 
Mutant gar bewegt sich dieser ambivalente Wechsel der 
Gefühle von inhärenter Aggression (mit dem «Fuchs- 
schwanz», dem roten phallusartig hervortretenden dritten 
Bein) bis hin zu einer potentiellen Selbstverniedlichung. 
Toni Stooss 
Werner Spies: Die «enzyklopädischen» Skulpturen, in: Pablo Picasso - Das 
plastische Werk, Verlag Arthur Niggli AG, Teufen (AR), 1971, 5.176 ff. 
Werner Spies: Frau mit Kinderwagen (Kat. Nr. 245), in Kat.: Pablo Picasso — 
Sammlung Marina Picasso, Haus der Kunst, München / Josef-Haubrich- 
Kunsthalle, Köln / Städel, Frankfurt / Kunsthaus Zürich, 1981/82, 
5.386 (Abb. S. 387). 
MARTIN DISLER, BERÜHRUNG IM WINTER, 1986 
Je länger ich micht mit dem Bild beschäftige, je mehr ich ın 
das dicht gewobene Farbgeflecht eindringe, umso stärker 
erscheint mir die Berührung im Winter ein Schlüsselbild im 
Werk des Schweizer Künstlers Martin Disler zu sein. Doch 
ıst nicht jedes seiner Bilder «Schlüssel», Hinweis auf einen 
fortwährend eruptiven Bilderstrom, den es für den 
Betrachter zu erschliessen gilt? Diese und ähnliche Fragen 
werden bezeichnenderweise ausgelöst, wenn man sich auf 
die «Aussage» dieses Bildes einlässt, sich in den Tiefensog 
der darin gleichermassen aufgewühlten und sedimentierten 
Energetik vertieft. 
1987 gelangt das ım Vorjahr entstandene Gemälde als 
Geschenk der Schweizerischen Kreditanstalt in die Samm- 
lung des Kunsthauses, die bislang nur zwei frühere 
Gemälde sowie Zeichnungen des Künstlers mit einschloss. 
Dies im selben Jahr, wie Martin Disler den Preis für Junge 
Schweizer Kunst der Zürcher Kunstgesellschaft zuge- 
sprochen erhält! und bereits die damit verbundene Einzel- 
ausstellung für Januar 1988 geplant wird. Anlässlich der 
Vorbereitungen dazu mit Martin Disler vor dessen Ölbild 
Berührung im Winter in der Sammlung stehend, führt uns 
die unmittelbare Nachbarschaft zur machtvollen, zweitei- 
ligen Skulptur Doppelstäck Dolomit von Ulrich Rückriem zu 
merkwürdigen Beobachtungen: Die teils roh gehauenen, 
teils blank geschliffenen Flächen der Steinskulptur 
scheinen die vorherrschenden Farben des Gemäldes von 
Martin Disler zu reflektieren; das Graugrün des Dolomits 
schimmert - je nach mineralischen Einschlüssen, natür- 
licher Verfärbung des Steins oder Lichteinfall - eher bräun- 
lich, bläulich oder in einem erstaunlich starken Rotton. In 
Wirklichkeit jedoch verhält es sich gerade umgekehrt: 
Dislers «Winterbild» reflektiert die Gesteinsformationen 
und deren farbige Brechungen, wie er sie in der Umgebung 
seines Engadiner Ateliers in Samedan tagtäglich erfahren 
kann und sie sich, gleichsam «beschleunigt» durch den 
Malakt des Künstlers, auf der Bildfläche festsetzen. Diese 
Reflexion ist im vorleigenden Bild eine doppelte, indem 
der Künstler das Kolorit im dichten Schichtengefüge der 
Slfarbe verstärkt, ja stellenweise fast mit reinen Farben
	        
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