HINWEISE AUF
EINIGE NEUERWERBUNGEN
EDOUARD MANET
PORTRAIT ALBERT WOLFF
Wir haben bereits 1990 das Vergnügen gehabt, im Jahres-
bericht ein Werk von Manet vorzustellen, das Pastell der
«Espagnole», das die Kinder von Walther und Leni Han-
hart-Wolfensberger dem Kunsthaus in Erinnerung an
ihre Eltern schenkten. Dort wurde bereits die besondere
Stimmung in der jungen Dritten Republik bemerkt, die
Leichtigkeit und Frivolität der Hauptstadt, wie sie in den
Romanen Zolas überliefert ist und in Manets «Nana»
ihre frappanteste bildliche Gestaltung gefunden hat. Im
gleichen Jahr 1877 entstand das ausserordentliche Por-
trait des Kunstkritikers Albert Wolff, das seit langem als
einziges Gemälde Manets neben der «Flucht Henri
Rocheforts» im Kunsthaus hängt und das nun als gross-
zügige Gabe aus der Familie von Dr. Hugo Cassirer in
die Sammlung Eingang gefunden hat.
Als Korrespondent der damals führenden Augsburger
Allgemeinen Zeitung kam der deutsche Kritiker und
Literat Albert Wolff (1835-1891) nach Paris und ent-
schloss sich, fasziniert von der Metropole, hier Karriere
zu machen, was ihm als Redaktor am Figaro und «auto-
rite infernale» auch gelang. Dass er gut in diese Ambi-
ance passte, sieht man dem blasierten Gesicht des nicht
mehr ganz jungen Mannes mit seiner Mittelscheitel im
pomadierten Haar an. Den zwischen einem Spazier-
stöckchen und einer Peitsche oszillierenden Galanterie-
Artikel hat Manet nicht nur ihm, sondern auch dem ält-
lichen, zylindertragenden Verehrer Nanas in die Hand
gegeben. Und ebenso wie mit dieser impertinenten
Gerte kann der Journalist auch mit dem Schaukelstuhl
wippen, ın den er sich im Atelier setzte oder gesetzt
wurde — der irische Schriftsteller George Moore, der
wenig später ebenfalls dort posierte, erwähnt den
«rocking chair» in seinen Memoiren. Wie das Halbrund
der Rücklehne die Komposition strukturiert und den
Kopf in der Bildebene verankert, entspricht kurioser-
weise genau der Funktion des Spiegels ın «Devant la
glace», der Vorstufe zu «Nana». Die Trouvaille dieser ele-
gant präzisen Asymmetrie, cool und spannungsvoll zu-
gleich, verführte Manet offensichtlich zu einer weiteren
Verwendung. Mit Nonchalance gleicht er in den Dia-
gonalen des lässig sitzenden Körpers die Einseitigkeit
aus, tönt er in den ungleichen Rundungen der Schultern
und Armlehnen das Schaukeln an und gibt in der durch-
laufenden, leicht steigenden Linie von Unterarm und
bildparallel wirkendem übergeschlagenem Oberschenkel
der Komposition doch eine feste Basıs.
Zum spannenden Grossstadtleben des durch und
durch pariserischen Manet gehörten nicht nur die Be-
ziehungen des eleganten Bürgers zu Monde und Demi-
Monde, zum Theater - das Portrait seines wichtigsten
Sammlers, des Opernsängers Faure als Hamlet, er-
schien 1877 im Salon, während «Nana» natürlich refü-
siert wurde —-, sondern auch das ständige Geplänkel mit
den meist arroganten und konventionellen Meinungen
verhafteten Kritikern. Man war da nicht zimperlich; so
verpasste Manet Duranty als Quittung für einen Artikel
1870 eine Ohrfeige und verletzte ihn im anschliessenden
Duell, obwohl dieser Freund von Degas - man kennt
dessen erstaunliche Kompositionen, die ihn inmitten
seiner Bücher zeigen - zu den Verteidigern der moder-
nen Strömung zählte. Zur Strategie der Kritiker-Pflege
gehörten auch kleine Geschenke in Form von Kunst-
werken und Portraits; sie häufen sich unter den Bild-
nissen Manets auffällig: Zacharie Astruc und Emile Zola,
zwei grosse, komplexe Gemälde, Hauptwerke der sech-
ziger Jahre, sodann Theodore Duret, Mallarme - wenn
man ihn in diese Reihe stellen darf -, später der erwähnte
George Moore, schliesslich 1880 Antonin Proust, der
ihm zwei Jahre später die lang ersehnte Aufnahme in die
Ehrenlegion verschaffte. Keines dieser Kritiker-Portraits
erscheint so kritisch wie dasjenige Wolffs; während er
mit den anderen mehr oder weniger eng befreundet war,