Volltext: Jahresbericht 1997 (1997)

lumpter Strizzis - arme hungrige Teufel und zwei Pa- 
droni, dick ... Meine Statue ist für sie: «non c’& male: c’ha 
qualche cosa preso dal vero. Donna grassa € bella, ...». 
Ein neues Problem tauchte mit dem Arbeitsplatz auf: 
Nur ein einziges lausiges Bildhaueratelier steht zur Ver- 
fügung. Ende Dezember 1907 schreibt Burckhardt einem 
Freund: «Ich bossle immer noch an der Statue, weil das 
Letzte gemacht sein muss, und ich dem Steinhauer nichts 
überlassen darf... Ich stecke fest in der Arbeit, die Statue 
soll am 1. Mai [1908] in Marmor angefangen werden - ich 
habe sie ganz überarbeitet, einfacher und für den Mar- 
mor geeigneter gemacht.» 
Neben der Arbeit an der Venus nimmt jetzt die Teil- 
nahme am Wettbewerb für die Metopen des von Karl 
Moser neuerbauten Kunsthauses in Zürich den Künstler 
in Anspruch. Manchmal verwünscht er diese freiwillig 
eingegangene Doppelbelastung. Für die Arbeit an den 
Zürcher Entwürfen mietet er in Florenz bessere Räume 
und muss nun ständig zwischen Florenz und Forte dei 
Marmi pendeln. Im Juni 1908 brachte Burckhardt seine 
Entwürfe nach Zürich. Vermutlich war das für ıhn ein 
willkommenes und wohltuendes Ausscheren aus der 
Fron für die «Venus», 
Ende Jahr, im Dezember, heisst es in einem Brief an 
den Freund Hermann Kienzle, dem damaligen Vorsteher 
der Basler Gewerbeschule: «Wie ein böser Dämon ver- 
folgt mich die aus Eiformen zusammengesetzte Gestalt 
meiner Statue, mein eigenes Machwerk, das mich von 
allem und allem abgehalten hat... Ich bin immer noch 
da, wo ich vor drei Jahren war, ... hier habe ich ein ganzes 
Jahr verloren und meine Statue glatt und rund gemacht.» 
Die Konkurrenzentwürfe mit den Amazonenkämpfen 
belasten, aber befreien auch - Burckhardt beklagt sich ja 
darüber, dass ihm über der Arbeit an der «Venus» so viele 
gute Einfälle und Werkprojekte verlorengehen. Aber der 
«Dämon» Venus erlaubt keinen Ausbruch. Burckhardt 
muss die Arbeit in Forte dei Marmi straff beaufsichtigen, 
denn in seiner Abwesenheit haben «... die italienischen 
Arbeiter alle Dummheiten, Ungereimtheiten und 
Pfuschereien an meiner Statue verübt... Sie vernudeln, 
versüssen, verschummern alles ... Unsere modernen sen- 
siblen Nerven sind für das kernige Handwerk der Stein- 
bildnerei nicht mehr geschaffen.» Burckhardt erlebt nun 
zum zweiten Mal, wie das Fehlen technisch-handwerk- 
licher Ausbildung das Realisieren eines Konzeptes er- 
schwert; jetzt muss er sie praktisch nachholen. Er wird 
auch erst allmählich begreifen, dass die Umsetzung vom 
Modell ins definitive Material viele Feinheiten kostet, 
dass anderes dafür besser hervortritt. 
Es sind jedoch nicht bloss die «modernen, sensiblen 
Nerven», die Burckhardt in bezug auf die Steinarbeit 
zu schaffen machen. Es ist seine seit je empfindliche 
Konstitution, seine leicht gefährdete Gesundheit. Er 
war immer auf Gehilfen fürs Steinhauen angewiesen; 
seine Kräfte reichten für grosse Objekte nicht aus. In 
den winterlich kalten Florentiner Räumen hatte er sich 
eine schwere Erkrankung geholt. Er musste die Arbeit 
zurückstellen und sich im Sommer bei Bocca di Magra 
langsam erholen. Die schwache Konstitution, verbun- 
den mit einer immer wieder aufbrechenden Lungen- 
affektion und Erkältungskrankheiten, hat Burckhardt 
auch später mehrfach Karenzfristen auferlegt und Arbei- 
ten ins Stocken gebracht. Die Tätigkeit an der «Venus» 
aber verfolgte er mit zäher Geduld unter Aufbietung 
aller Disziplin. 
Im Jahr 1909 geht die Arbeit vorwärts - nachdem 
Burckhardt in seiner Selbstkritik beinahe resignieren 
wollte. Er schreibt seiner Frau im September 1909 nach 
Basel: «Mit der Arbeit geht es nicht so glatt, wie ich 
möchte, aber ich tue alles, was ich kann —- nur keine 
Konzessionen! Der Torso ist das Leichteste. Das Ge- 
wand wird poliert, aber die Haare müssen neu gemacht 
werden... Sehr schwer ist, die zwei Farben zu einander 
zu stimmen, und ich brauche keine Angst zu haben, 
dass mir diese Art Polychromie nachgeahmt wird.» Ende 
September meldet er: «Ich habe in allem wenig Extra- 
Glück. Das Polieren dauert unendlich lang, der Marmor 
hat alle erdenklichen Tücken - «& un rospo - vuol co- 
mandare lui» - der Polierer säbelt schon seit zehn Tagen 
dran herum, und fegt und stöhnt. Heut abend fünf Uhr 
gab er nach - der Marmor - und wie ein junges Mädchen 
fing er an zu erröten, und dann wie ein Chamäleon zu 
schillern und wie eine Mondnacht zu strahlen.» 
Und ein Monat später bekennt Burckhardt: «Was ich 
hier gelernt habe, und warum ich Forte nie bedauern 
werde, ist die Kenntnis des Marmors und der Art, ihn
	        
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