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Autor eigentlich an diesen Leuten interessiert, und es wirkt fast
naiv, wie er Madame Legros den Brief finden lässt.
Sie liest und begreift nur langsam, und ihre ersten Mitteilungen
an das Volk in der Gasse gehen vorüber wie die meisten Szenen
von solcher Art; sie bleiben etwas unwahrscheinlich. Aber dann
begreift Madame Legros, worum es sich handelt, und dass ihr der
Atem Gottes dieses Blatt vor die Füsse geweht. Darin lag ja die
Genialität dieser Frau, dass sie den Zettel des Gefangenen in der
Totalität seiner Mitteilung zu erfassen und Schicksal zu sehen ver
mochte, wo jeder andere gleichgültig geblieben wäre. Mit der ele
mentaren Wucht der Intuition vollzieht sich bei Mann in dieser
Frau aus dem Volke die Symbolisierung des Unschuldigen, in
dessen Leiden sie sich selbst erkenni und alle Welt, die nach Er
lösung schreit. Und an dem Erlösungsmotiv entzündet sich das
Dichterische Heinrich Manns und er wird zum Verkünder einer
höchsten Ethik.
Ham Müller: „Könige".
Eine freundliche, teilweise begeisterte Aufnahme wurde überall auf
deutschsprachigen Bühnen dem dreiaktigen Schauspiel „Könige"
von Hans Müller zuteil. Er führt mit seinem Werke in Deutsch
lands grosse Vergangenheit und eines der schönsten, bedeutsamsten
Kapitel schlägt er darin auf: wie Ludwig der Bayer Friedrich von
Oesterreich, seinen besiegten und gefangenen Gegenkönig, der einst
sein bester Freund gewesen, frei lässt auf sein Manneswort hin,
dass er Frieden stiften will zwischen den beiden feindlichen Par
teien, um deren Zwietracht willen das ganze deutsche Land bitterste
Not leiden muss; wie Friedrich sein Wort nicht einzulösen vermag
und zurückkehrt in die Gefangenschaft; wie Ludwig niemals zwei
felte an seines einstigen Freundes Treue und wie er sie lohnt durch
freiwilliges Einräumen der Milregentschaft am Reiche. Der Dichter
erzählt es schlicht, aber trotzdem in dramatisch überaus bewegten
Bildern und in einer Weise, bei der auch der Geschichtskundige
nichts an Spannung und Erregung einbüsst. lieber Fabel und Füh
rung aber der Handlung hinaus ist das Schauspiel reich an schönen
Einzelheiten; Szenen, die eine köstliche lyrische Stimmung atmen,
wechseln ab mit Szenen, aus denen eine aufrichtige Begeisterung
für alle vaterländischen und menschlichen Tugenden mit glühender
Leidenschaft entgegenschlägt; klare und gute Gedanken werden in
gepflegter, wohlklingender volltönender Sprache vorgetragen; und
Stimmen werden wach, die ein lautes Echo wecken in unserem
Herzen. Eines jedoch vor allem; Lebensglaube ist in diesem Werke;
es ist erfüllt von jener lauteren, vornehmen Kraft, die aufbaut und
erbaut, die aufhebt und erhebt.
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