Volltext: Erste Internationale Dada-Messe

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Max Liebermann illustriert die Bibel! 
Zur Einfül 
Dereinst wird die Photo 
drängen und ersetzen, 
rung. 
'apliie die gesamte Malkunst ver- 
W i e r t z. 
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Wenn sich ein Künstler 
man sich ihrer bedienen muß, 
aulschwingen, von der wir 
der Photographie bediente, wie 
iann würde er sich zu einer Höhe 
ine Ahnung haben. 
Delacroix. 
Sonne, Mond und Sterne 
nicht mehr anbeten. Gibt e 
nicht daran sterben, daß der 
bestehen noch — obwohl wir sie 
unsterbliche Kunst, so kann sie 
vunstkult gestürzt wird. 
[Wieland H e r z f e 1 d e. 
dienen Zweck, den Menschen die 
lieren, Bauten usw. — die sie 
Die Malerei hatte einst den ausgespr 
Anschauung von Dingen — Landschalten! 
selbst nicht mit eigenen Augen kennen let|en konnten, zu vermitteln. Diese 
Aufgabe haben heute Photographie und jrilm übernommen, und lösen sie 
unvergleichlich viel vollkommener als die Maler aller Zeiten. 
Doch starb die Malerei mit dem Verljft ihres Zweckes nicht ab, sondern 
suchte neue Zwecke. Seitdem lassen sich,alle Kunstbestrebungen dahin zu 
sammenlassen, daß sie, so verschieden sie tuch sind, gemeinsam die Tendenz 
haben, sich von der Wirklichkeit zu emanzipieren. 
Der Dadaismus ist die Reaktion au alle diese Verleugnungsversuche 
des Tatsächlichen, die die Triebkraft dei Impressionisten, Expressionisten, 
Kubisten und auch der Futuristen (indeiri sie nicht vorm Film kapitulieren 
wollten) gewesen sind; aber der Dadaist unternimmt es nicht etwa wieder, 
mit dem Photographenapparat zu konkurrieren, oder ihm gar eine Seele ein 
zuhauchen, indem er (wie die Impressionen) der schlechtesten Linse: dem 
menschlichen Auge den Vorzug gibt, o$r (wie die Expressionisten) den 
Apparat umdreht und dauernd bloß die W't im eigenen Busen darstellt. 
Die Dadaisten sagen: Wenn früher liimengen von Zeit, Liebe und An 
strengung auf das Malen eines Körpers einer Blume, eines Hutes, eines 
Schlagschattens usw. verwandt wurden, Io brauchen wir nur die Schere 
nehmen und uns unter den Malereien, photographischen Darstellungen all 
dieser Dinge ausschneiden, was wir branden; handelt es sich um Dinge ge 
ringeren Umfangs, so brauchen wir at-h gar nicht Darstellungen, son 
dern nehmen die Gegenstände selbst, 2$ 3. Taschenmesser, Aschenbecher, 
Bücher etc., lauter Sachen, die in den Miseen alter Kunst recht schön ge 
malt sind, aber eben doch nur gemalt. 
Beachten Sie am Biichertisch die zahlreichen 
Dada-Publikationen des MAL1K-VERLAGES 
Nun die berühmte Frage: Ja, aber de Inhalt, das Geistige? 
Im Laufe der Jahrhunderte hat wid auf allen Gebieten die ungleiche 
Verteilung der Lebens- und Eriivncklimfi uögjichkeilen auch auf dem Ge 
biete der Kunst unerhörte Verhältnisse < zeitigt: auf der einen Seite eine 
Clique sogenannter Könner und Talente die teils durch jahrzehntelanges 
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Training, teils durch Protektion, Sesselkleben, teils auch durch ererbte Spezial- 
veranlagungen' das Monopol in bezug auf alle Fragen der Kunstwertung an 
sich gerissen hat —- während auf der anderen Seite die Menge von Men 
schen, deren anspruchsloses und naives Bedürfnis: die Vorstellung in sich 
und die Vorgänge in der Umwelt darzustellen, mitzuteilen und bauend 
zu verarbeiten, von jener Clique Tonangebender niedergehalten wird, Heute 
muß der junge Mensch, wenn er nicht auf jegliche Ausbildung und Ver 
breiterung seiner ursprünglichen Anlagen verzichten will, sich dem durch 
und durch autoritativ aufgebauten System der künstlerischen Erziehung und 
des künstlerischen öffentlichen Urteils unterwerfen. Die Dadaisten hingegen 
sagen, Bilder hersteilen ist keine Wichtigkeit, wenn es aber geschieht, so 
soll wenigstens kein Machtstandpunkt aufgezogen werden, so soll den breiten 
Massen die Lust an gestaltender Beschäftigung nicht durch die fachmän 
nische Arroganz einer hochmütigen Gilde verdorben werden. Aus diesem 
Grunde können die Inhalte dadaistischer Bilder und Erzeugnisse außerordent 
lich verschieden sein und desgleichen die Mittel. An sich ist jedes Erzeug 
nis dadaistisch, das unbeeinflußt, unbekümmert um öffentliche Instanzen und 
Wertbegriffe hergestellt wird, sofern das darstellende illusionsfeindlich, aus 
dem Bedürfnis heraus arbeitet, die gegenwärtige Welt, die sich offenbar in 
Auflösung, in einer Metamorphose befindet, zersetzend weiterzutreiben. Die 
Vergangenheit ist nur noch insofern wichtig und maßgebend, als ihr Kult be 
kämpft werden muß. Insofern sind sich die Dadaisten einig, sie sagen, was 
die Antike, die Klassik, all die „großen Geister“ geschaffen haben, darf 
nicht (es sei denn wissenschaftlich historisch) gewertet werden in bezug auf 
die Zeit, da es geschaffen wurde, sondern so, als ob heute jemand diese 
Dinge herstellt, und niemand wird bezweifeln, daß heute kein Mensch, und 
sei er auch, um mit der Kunstsprache zu reden, ein Genie, Wlerke hersteilen 
kann, deren Voraussetzungen Jahrhunderte und Jahrtausende zurückliegen. 
Die Dadaisten rechnen es sich als Verdienst an, Vorkämpfer des Dilettantis 
mus zu sein, den der Kunst-Dilettant ist nichts anderes wie das Opfer einer 
vorurteilsvollen, hochmütigen, aristokratischen Weltanschauung. Die Da 
daisten anerkennen als einziges Programm die Pflicht, zeitlich und örtlich 
das gegenwärtige Geschehen zum Inhalt ihrer Bilder zu machen, weswegen 
sie auch nicht „Tausend und eine Nacht“ oder „Bilder aus Hinterindien“, 
sondern die illustrierte Zeitung und die Leitartikel der Presse als Quell ihrer 
Produktion ansehen. 
Betrachten wir uns unter diesen Gesichtspunkten einige Bilder. 
Bild Nr. 111 Stuckenschmidt: „Die Produktionskrise“. 
Sie sehen am aufdringlichsten den traurigen deutschen Textilbestand. 
Damit begnügt sich der Künstler nicht, er gibt nun auch noch an, worin er 
die Ursachen der Produktionskrise sieht. Zunächst erblicken Sie S, M. 
und Gefolgschaft in Gala. Natürlich, denken nicht auch Sie manchmal 
schmerzhaft an all die alten guten Zeiten, wo alles nur so glänzte, bei jeder 
Gelegenheit der Anzug gewechselt wurde. Sie sehen weiter eine Reklame 
uei Av'negbspdKuYäiiuii; des weiteren 
einen Knopf, eine Briefmarke, einen 10 - Pfg. - Gutschein etc., lauter Dinge, 
die früher wertlos, heute zum Inhalt zahlloser Sorgen geworden sind. 
Bild Nr. 57 George Grosz: „Entwicklung“. 
Eine schlagende, unübertreffliche Widerlegung der weitverbreiteten An 
sicht, in Deutschland habe sich nichts geändert, und der Monarchismus 
stecke den Leuten noch tief in den Knochen. Dieses Bild müßten die Unter 
händler nach Spaa mitnehmen, damit die Ententediplomaten sich bewußt 
werden, daß sie mit einem neuen Deutschland unterhandeln. 
Bild Nr. 45 George Grosz: „Krause“. 
Sie ersehen sogleich, wie unrecht man Erzberger tut, wenn man ihm 
eine Lebensmethode vorwirft, die so allgemein ist wie der Name „Krause“. 
Und auch hier wieder fragt sich dadaistische Gründlichkeit, warum, warum 
dieser weitverbreitete Spekulanten-Typus? Weil der enge Horizont des deut 
schen Kleinbürgers überladen wurde mit der Vorstellung von Riesengewinnen, 
Handel, Weltmacht, Absatzgebieten, Reklame und so fort. Von klein auf hat 
man ihm von alldem geradezu mit Ehrfurcht erzählt, so daß sein Herz, 
das aufrichtig am Vaterlande hängt, ebenso wie an der Mutter, davon schier 
erdrückt wurde. 
Bild Nr. 52 George Grosz: „Daum“ marries her pedantic automaton 
„George“ in May 1920, John Heartfield is very glad oft it. (Meta-Mech constr. 
nach Prof. R. Hausmann.) 
Die Unterschrift ist englisch abgefaßt, weil es sich um. intime Dinge 
handelt, die nicht jeder verstehen soll. Grosz heiratet! Für ihn ist aber 
die Heirat nicht etwa nur ein persönliches, sondern in erster Linie ein 
soziales Geschehen. Gewissermaßen ein Zugeständnis an die Gesellschaft, 
die einem Maschinismus gleicht, der unfehlbar den Mann zu ihrem Bestand 
teil, zu einer kleinen Maschine im großen Räderwerk macht, so daß die 
Ehe eigentlich ein Abrücken von der Braut zu Gunsten der Allgemeinheit be 
deutet. Gleichzeitig ein Abrücken von Erotik und Sexualität. Anders bei 
der Frau. Für sie stellt die Ehe alles auf den Kopf. Ist das Symbol des 
jungen Mädchens eine nackte Gestalt, die mit der Hand oder mit irgend 
einem Zipfel die Scham verhüllt, sö ist in der Ehe diese Verleugnung des 
sexuellen Bedürfnisses nun aufgehoben, ja sie wird sogar betont. Doch wie 
ein Schatten fällt es zwischen Mann und Weib von der ersten Stunde ihres 
Getrautseins an, daß im Augenblick, da die Frau all ihre geheime Lust laut 
werden, ihren Körper lüften darf, — der Mann sich andern nüchtern 
pedantisch rechnerischen Aufgaben zuwendet. Sie ist fast bestürzt und be 
tastet nur scheu den Kopf des Gatten wie einen gefährlichen Apparat. Gleich 
zeitig stellt Grosz auf diesem Bilde dar, wie die Ehe die Menschen einkapselt, 
so daß die Mitwelt eigentlich nur noch durchs Fenster weiterbesteht und 
das Bild des Weibes, das der Mann, ursprünglich im Mittelpunkt seiner Vor 
stellung, bis in die letzten Winkel des Bewußtseins verdrängt wird.
	        
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