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Merz strebt vom Individuellen zum Universalen durdi kon*
sequente Beseitigung aller alten Vorurteile, z. B. bezüglich des
Materials, das an sich gleichgültig für das künstlerische Schaffen
ist, und bezüglich der Formung, durch Schaffen einer neuen Ordnung
und durch Auswahl. ‘In jeder Kunstgattung entsprechen Material,
Mittel und Gesetze einem ganz bestimmten Gestaltungswillen
einer ganz bestimmten, sich dauernd ändernden Zeit. Kunst lebt
durch das Leben der Zeit. Wie Zeitschrift G schreibt: »Nur
keine ewigen Wahrheiten!« Es gibt nur die Wahrheit unserer
Zeit, wie es die Wahrheiten vergangener Zeiten gab. Die Wahr*
heit der Zeit finden helfen ist Merz bemüht. Und so gelangt
Merz zu Bestrebungen gemeinschaftlicher künstlerischer Tätigkeit,
wie sie z. B. in Holland <Stijl> und Rußland schon teilweise ver*
wirklicht sind. Das Wort Stil ist abgebraucht, und doch bezeichnet
es am besten das Streben der Künstler, die für unsere Zeit
charakteristisch sind. Normalisieren der Mittel und Angleichen
der Absichten an einen gemeinsamen Gestaltungswillen, das nenne
ich Stil. Heute ist das Streben zum Stil größer als das
Streben zur Kunst. Man muß scharf unterscheiden zwischen
STIL*) und KÜNSTLERISCHER GESTALTUNG. Stil ist
Ausdruck des gemeinschaftlichen Willens vieler, am besten aller,
Demokratie des Gestaltungswillens. Da aber die meisten Menschen,
und sogar auch hier und da einige Künstler, überwiegend Trottel
sind, und da die Trottel am meisten von ihrer Sache überzeugt
sind, und da eine Einigung aller nur auf mittlerer Linie geschehen
kann, so ist Stil meist Kompromiß von Kunst und Nichtkunst,
von Spiel und Zweck. Die künstlerische Gestaltung kennt den
Zweck nicht. Das Kunstwerk gestaltet sich nur aus seinen Mitteln.
Die Mittel der Kunst sind eindeutig. Kunst ist ausschließ*
lieh Gleichgewicht durch Wertung aller Teile. Nur
wenn sich die Schaffenden auf diesen Grundsatz einigten, so könnte
Stil entstehen, der zugleich Kunst ist. Aber es gibt zuviele Trottel.
Die sehr entwickelte kollektive Kunst der Stijlkünstler in Holland,
nenne ich nicht Stil, da sie an Umfang nicht allgemein genug ist.
Allerdings kann von hier aus ein starker Vorstoß zum allgemeinen
Stil kommen, ich erinnere an den außerordentlichen Einfluß dieser
Stijlkünstler auf Deutschland, speziell auf das BAUHAUS.
M C JED "7 die Mitte, will vermitteln, will so viel als
L- • \ möglich künstlerische Gestaltung hinüberretten
in den allgemeinen Stil. Nicht den Klub der Idioten, nicht den
Klub der Genies will Merz, Merz will den Klub aller, den Klub
der normalen Menschen zur Normalisierung der Katarrhe.