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Krieg und Individualismus.
Individualismus fordert Verantwortlichkeit; das Individuum
nimmt initiativ Stellung zur Sozietät. Eine höhere Organi
sation ist nur auf dieser Grundlage möglich Unser geistiges
Wesen baut sich auf dem individualistischen Prinzip auf.
Der Krieg stellt an unser Volk organisatorische Forde
rungen, die in ihrer Mehrzahl nicht individualistisch erfüllt
werden können.
Die Generation, die an diesem Kriege zunächst be
teiligt ist, besteht eine Kraftprobe, der die wenigsten ohne
massensuggestive Einstellung gewachsen sein werden. Es
hat überrascht, wie schnell dieses nicht unbedenkliche Mittel
auch von den ausgearbeiteten Individualisten angeeignet
werden konnte. Es wird eine spannende Frage sein, wie
es nach dem Kriege gelingen wird, eine geistige Tendenz
wieder zur Geltung zu bringen, deren Entstehung so viel
Mühe gekostet hat und die so schnell aufgegeben wurde.
Es ist eine Aufgabe des Teiles der Jugend, der nicht
in so hohem Maße wie die im Felde Stehenden vom Krieg
beansprucht wird, den Prozeß der Individualisierung nicht
einer Reaktion verfallen zu lassen.
Man bedenke, daß der, dem nicht äußerste, ihm
oktroyierte Leistung abgefordert wird, keine
Entschuldigung hat, wenn er Geistiges versäumt.
Darum keine neurotischen Kriegsfreiwilligen! (Es gibt
auch eine Flucht in den Krieg!) Keine patriotischen
Suggestionen; (das ist nicht schwer, so lange sie uns in
so brutaler Form geboten werden, wie in den Straßen und
Cafes von Berlin!), — vor allem aber keine oppositionellen
Suggestionen (welche, hinter dem Herde, nur schäbig sind).
A. E. Günther.