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Wir reden zur Jugendbewegung.
Gehört es nicht zu den Schicksalen allerbester Art, die eine Jugend erleben
kann: daß man vor ihr nicht zurückhalten braucht mit den Stürmen des
Geistes, vor denen schon Heraklit von Ephesus erbebte? Ist es nicht wun
dervoll, daß es Lauschende gibt in jenem jungen Geschlecht, zu denen man
Glauben hat, daß sie nie versagen? Aufgeregte und Horchende, die die
Ohren nicht zurückziehen, wenn man von seinem Besten und Schlimmsten
redet! . . .
Wir wissen freilich: der öffentliche Zustand der heutigen Jugendbewegung
ist wenig hoffnungsvoll. Sie hat sich bewegt, jetzt liegt sie auf einem toten
Punkte. Aber die baldigste Zeit wird den neuen Aufschwung bringen.
Die heutige Jugendschaft verdankt ihre Vegetation einer wohldüngenden
PoppeUFeigheit. Diese ruht etwa in der Wortserie: »innerliches Ver^
stehen«, »Erleben«, »empfinden«, »letztes Geheimnis«. — Man könnte
wohl sagen: wenn es diese Worte nicht gäbe und es nicht Situationen gäbe,
die sich hinter ihnen verbärgen, so gäbe es auch das ganze Schrifttum der
heutigen Jugendschaft nicht. <Hierbei sind selbstverständlich ausgenommen
Dinge wie: »Freie Schulgemeinde«, »Anfang«, »Aufbruch«.) Sie allein
sind es, die die schlimmste Lage der Jugendbewegung beschönigen können:
ihr Behagen an sich selbst. Ihre wohligeTanzlust< . . . ohne die harte Proble
matik des Tanzes!), ihre spielerische Romantik < . . . ohne den Ernst des
schöpferischen Spieles), ihr Singen und Sagen < . . . ohne die aufrührende
Wucht von Dichtertum).
Die eine Feigheit, in deren Dienst jene Wortserie steht, gilt dem Eros.
Es ist nicht verwunderlich, daß ein Lebensvorgang wie die Jugendbewegung
in den Tatsachen seines Liebeslebens verwegener, absonderlicher und neuer
sein mußte, als die bürgerliche Gesellschaft, der zum Trotz sie entstand.
Ja, wer könnte es überhaupt erwarten, daß irgend etwas bei ihr in diesen
Dingen ortsüblich wäre? Wer dies tut, verurteilt den Lebensgehalt der
Jugendbewegung zur Durchschnittlichkeit. Aber nie selbst weiß er sehr
wohl, daß es nicht so ist.
Sie kennt heute das Wie und das Wo, sie weiß, daß man wissen muß,
um hier in sauberen Gewändern zu gehen. Und sie weiß, daß man ein
anderes Leben führen muß, als die Gesellschaft der Alten, wenn man mehr
sein will als sie. Aber wie kann man sich besser vor solchen Konsequenzen
bewahren, wie kann man besser dem Behagen fröhnen, als dadurch, daß
man unkontrollierbar »erlebt«, »tiefe Gefühle hat«, »mit dem Gemüte
begreift« und »innerlich mit sich fertig wird«?Ein Mensch, der sich, — dem