Volltext: Neue Jugend (1-5;7-11/12)

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Wir reden zur Jugendbewegung. 
Gehört es nicht zu den Schicksalen allerbester Art, die eine Jugend erleben 
kann: daß man vor ihr nicht zurückhalten braucht mit den Stürmen des 
Geistes, vor denen schon Heraklit von Ephesus erbebte? Ist es nicht wun 
dervoll, daß es Lauschende gibt in jenem jungen Geschlecht, zu denen man 
Glauben hat, daß sie nie versagen? Aufgeregte und Horchende, die die 
Ohren nicht zurückziehen, wenn man von seinem Besten und Schlimmsten 
redet! . . . 
Wir wissen freilich: der öffentliche Zustand der heutigen Jugendbewegung 
ist wenig hoffnungsvoll. Sie hat sich bewegt, jetzt liegt sie auf einem toten 
Punkte. Aber die baldigste Zeit wird den neuen Aufschwung bringen. 
Die heutige Jugendschaft verdankt ihre Vegetation einer wohldüngenden 
PoppeUFeigheit. Diese ruht etwa in der Wortserie: »innerliches Ver^ 
stehen«, »Erleben«, »empfinden«, »letztes Geheimnis«. — Man könnte 
wohl sagen: wenn es diese Worte nicht gäbe und es nicht Situationen gäbe, 
die sich hinter ihnen verbärgen, so gäbe es auch das ganze Schrifttum der 
heutigen Jugendschaft nicht. <Hierbei sind selbstverständlich ausgenommen 
Dinge wie: »Freie Schulgemeinde«, »Anfang«, »Aufbruch«.) Sie allein 
sind es, die die schlimmste Lage der Jugendbewegung beschönigen können: 
ihr Behagen an sich selbst. Ihre wohligeTanzlust< . . . ohne die harte Proble 
matik des Tanzes!), ihre spielerische Romantik < . . . ohne den Ernst des 
schöpferischen Spieles), ihr Singen und Sagen < . . . ohne die aufrührende 
Wucht von Dichtertum). 
Die eine Feigheit, in deren Dienst jene Wortserie steht, gilt dem Eros. 
Es ist nicht verwunderlich, daß ein Lebensvorgang wie die Jugendbewegung 
in den Tatsachen seines Liebeslebens verwegener, absonderlicher und neuer 
sein mußte, als die bürgerliche Gesellschaft, der zum Trotz sie entstand. 
Ja, wer könnte es überhaupt erwarten, daß irgend etwas bei ihr in diesen 
Dingen ortsüblich wäre? Wer dies tut, verurteilt den Lebensgehalt der 
Jugendbewegung zur Durchschnittlichkeit. Aber nie selbst weiß er sehr 
wohl, daß es nicht so ist. 
Sie kennt heute das Wie und das Wo, sie weiß, daß man wissen muß, 
um hier in sauberen Gewändern zu gehen. Und sie weiß, daß man ein 
anderes Leben führen muß, als die Gesellschaft der Alten, wenn man mehr 
sein will als sie. Aber wie kann man sich besser vor solchen Konsequenzen 
bewahren, wie kann man besser dem Behagen fröhnen, als dadurch, daß 
man unkontrollierbar »erlebt«, »tiefe Gefühle hat«, »mit dem Gemüte 
begreift« und »innerlich mit sich fertig wird«?Ein Mensch, der sich, — dem
	        
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