Volltext: Neue Jugend (1-5;7-11/12)

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DER STEREOGRAPH 
oder 
Die kinetisdie Automodellierung. 
Professor Abnossah Pschorr ist meinen zahllosen <o?> Lesern längst kein Fremder mehr: er hat 
ja, wie Sie sich erinnern werden, den »Ferntaster« erfunden, der jetzt im Kriege sicherlich das aus 
schlaggebende Moment spielen würde, wenn er bereits eingeführt worden wäre. Die Regierungen 
haben unrecht daran getan, die (allerdings sehr erheblichen) Kosten zu scheuen. Da Pschorr leider 
neutral ist, läßt er sein Ferngetast feiern. Der Krieg ist vielleicht bloß das Symptom einiger noch 
nicht anerkannter Erfindungen. 
Deshalb hören Sie zu! Dem Pschorr ist es gelungen, das Getast, also diejenigen Schwingungen, 
welche die Empfindung des Getasts erregen, ähnlich wie Licht- und andere Strahlen durch Linsen 
zu schicken, die natürlich nicht aus Glas, sondern aus einem eigentümlich elastischen, chemisch sehr 
kompliziert zusammengesetzten Material bestehen,dessen Formel zunächstFabrikgeheimnis bleibt/ 
eine Art gläsernes Gummi. 
Während es sich beim Ferntaster darum handelt, das Getast, sozusagen auf Drähten, in die 
Ferne zu leiten, bleiben die Gegenstände des Getasts hier an ihrer Stelle,- sie werden durch den 
Stereographen an einer bestimmten anderen Stelle in einer plastischen Masse, einer besonders 
präparierten Art Ton, lediglich kopiert und zwar eben plastisch, in derjenigen Größe, die von der 
Größe der Linse abhängig ist — also analog zur Photographie wird hier geplastikt. 
Abnossah Pschorr hatte die Güte, mich in folgende Details einzuweihen. Er wies auf einen Glas 
sturz von der Größe eines Familienteekessels: Darin ist die Tastmasse, in der sich die Eindrücke 
plastisch widerspiegeln. 
Ich sagte: Aber Herr Professor, ich sehe nicht das Geringste. Wie sollten Sie, bester Herr, gab 
er zur Antwort und lächelte sein geistreichstes Gerhart-Hauptmann-Lächeln/ (übrigens, da er bald 
berühmter werden wird, wird dann G. H. ein Abnossah-Lächeln verzapfen! !>. Wie sollten Sie, 
lächelte Pschorr: Die Masse ist unterm Glassturz zwar vorhanden, aber in Gasform. Sie gerinnt 
erst durch die Einwirkungen der Taststrahlen, die ich durch die Linse auf das Gas konzentriere, 
zu plastischen Gebilden,- es scheint zauberhaft, ist aber ganz natürlich. Das Getast hat, wie das 
Gesicht, sein Plus und sein Minus, sein Licht gleichsam und seine Finsternis, seine Dichte und 
Dünne, seine Kompaktheit und Dissipation. Und ähnlich wie die photographische Platte, um auch 
die zartesten Lichteindrücke aufzunehmen, verfinstert werden muß: ähnlich muß die Tonmasse 
gleichsam vernichtet werden, verflüchtigt, um auch für die minimalsten Tastunterschiede sensibel 
zu bleiben. 
Professor Abnossah Pschorr holte sodann die Linse herbei,- sie war merkwürdig klein, in Kaut 
schuk gefaßt, sah aus wie eine zwiebelartigeTaschenuhr, aus sehr glibbriger Gallerte, von trübster 
(molkiger) Durchsichtigkeit. Abnossah, in der Hand diese Linse, erkundigte sich, was ich modelliert 
zu haben wünschte. Ich fragte, ob ich auf die Stabilität der Gegenstände Rücksicht nehmen solle. 
Im Gegenteil! sagte er triumphierend: Je beweglicher, desto interessanter! Damit wies er auf die 
Straße, wo gerade Fahnen flatterten, Tiere, Menschen, Wagen aller Gattungen bunt durch einander 
wirbelten. Ich staunte, daß dies alles in Miniatur unterm Glassturz plastisch in beweglichster Leben 
digkeit zu wiederholen sein sollte. 
Abnossah sagte: Denken Sie nach! Materie ist durchaus nichts als lauter Wiederholung. Lauter 
Variation desselben Themas, das eben allerdings in seiner eigentlichen Originalität, also im 
Schöpfer, im Schaffenden, im Produzenten verborgen bleibt und, sowie es sich auch nur leise äußert, 
sofort in diesen allegorischen Variationen ausfällt, nicht wahr? 
Ich sagte: Jawohl, Herr Professor!
	        
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