Volltext: Neue Jugend (1-5;7-11/12)

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MITTEILUNGEN. 
Theodor Daubier, „Hesperien“, Georg Müller Verlag 1915. 
Erschöpfendes Verständnis für Däubler zu vermitteln und zu erwecken, ist mir unmöglich: Sein 
Werk ist unerschöpflich, mit unsern menschlichen Maßstäben nicht meßbar: es handelt sich bei 
Däubler nicht um die höchstdenkbare Begabung sich auszudrücken/ er ist zu umfassend, als daß 
man ihn Genie <entfaltetsten Gipfel des quantitativen Menschentypus) nennen könnte: er ist das 
hingebungsvolle Mundstück kosmischer Offenbarung, Träger von Geheimnissen des Ursprungs, 
die, sein Bewußtsein übertönend, ihn zu ihrem urbestimmten Verkünder machen. Es ist, als ob er 
von sonnennäherem Sterne Erkenntnisse geholt, die zu versprachlichen ihm allein möglich, die 
zu verstehen <d. h. darüber nicht mehr denken zu müssen) selbst ihm wohl nicht möglich ist. 
Unter Däublers Büchern: »Das Nordlicht«, »Hesperien«, »Der sternhelle Weg«, »Mit silber- 
ner Sichel«, »Das Sternenkind«, »Wir wollen nicht verweilen«, »Der neue Standpunkt«, »Hymne 
an Italien«, »Lucidarium in arte musicae« ist »Hesperien« das nahbarste in Form und Korn» 
Position, dennoch keinem nachstehend an Unbedingtheit des Themas und seiner Bewältigung. Es 
gibt nur ein Thema für ihn: Religion! Sehen, Erleben, Lieben alles Seins als Mitteilung einer gött 
lichen) Einheit,-Wollen, Handeln, Dürsten und Ringen als Werben um Bestimmung, um die ^gött 
liche) Einheit. 
Da der Horizont der Sprache Däublers sie von ihren tropischsten Blustmöglichkeiten bis zu den 
kristallisiertesten Abstrakten des Nordens umfaßt, findet man in »Hesperien« die prophetische 
Deutung so unterschiedlicher Erscheinungen wie Mandelbaum und Obelisk, wie Sternenbild und 
Zeitung, Ätna und Cafe,- erfährt die Neubelebung solch versteinerter Begriffe wie Zufall, Liebe, 
Ehrgeiz, Adel, Ewigkeit, Gott, Eile, Wirklichkeit, Ekstase, Abschied. 
Die Pole Blut und Hirn, Sinn und Logik, Affekt und Tat sind in Däubler so rein vorhanden, 
daß sie sich nicht reiben, sondern eine geistige Hochspannung erzeugen, die bei jeder Berührung 
mit der konkreten wie der ideellen Welt sich hemmungslos entlädt: produktiv wird. In »Hespe 
rien« sind die entsprechenden Ebenen dieser Polarität, das historische und das südeuro 
päische Italien. Däublers Symphonie zeugt von der unerhörten Tatsache, daß man, ungeteilt, 
ohne Zwiespalt, ohne Betäubung die Bedeutung des Vesuvs für tausend Generationen seiner 
Umwohner und gleichzeitig seine Silhouette am Abendhimmel erleben kann. Theodor Däubler 
vermag sich über die Zeit zu erheben, ohne sich ihrer Wirkungen zu entheben. Er kann Gott sein, 
ohne die Erde zu verleugnen. 
Wieland Herzfelde 
Die Galerie Hans Goltz Neue Kunst, München, Briennerstraße 8, eröffnete Mitte August ihre 
vierte Gesamtausstellung. Mit wenigen Ausnahmen stellt diese Ausstellung, welche 139 Werke 
zeigt, eine Kundgebung deutscher Expressionisten dar. Bei der Eröffnung hielt der Berliner Künst 
ler Hans Richter, der mit 9 Werken in der Ausstellung vertreten ist, einen Vortrag über den 
Willen der Neuen Kunst, welcher großen Beifall fand. Die Ausstellung, welche bis Oktober ge 
öffnet bleibt, erzielte bereits am Eröffnungstage namhafte Verkäufe. Ein Katalog mit 31 Abbil 
dungen und einem Vorwort ist zum Preise von M. 1.— durch die Galerie zu beziehen. 
Fritz Freiherr von Ostini (Biedermeier mit ei), Redakteur der Münchener Kunst- und Wochen 
schrift »Jugend« schreibt in der Abendausgabe der »Münchener Neuesten Nachrichten« vom 
16. August 1916 über die Expressionistenausstellung bei H. Goltz unter anderem folgende be 
merkenswerte Auslassungen: »Die Ausstellung, die gegenwärtig im ersten Stockwerk der Kunst 
handlung »Neue Kunst« im Luitpoldblock zusammengebracht ist, will ganz offenbar eine Demon 
stration sein und uns vor allem sagen, daß die Hoffnung eitel war, die Schrecken dieses Krieges 
und die Schändlichkeiten unserer Feinde würden die hier vertretene Gruppe jüngerer Maler aus 
dem Einfluß der französischen Charlatans Picasso und Matisse, der Väter des Expressionismus 
und Kubismus, und etlicher Russen, die hier vor dem Kriege ihr Unwesen trieben, zu der Besin 
nung auf deutsche Art zurückführen. Nein! Der Kubismus entwickelt sich lustig weiter zu immer 
bizarrerer und unleidlicherer Art, Expressionismus und »Futurismus« treiben nach wie vor ihre 
Blüten, und die Phrase behält die Herrschaft.... Man kann himmelweit von jedem Chauvinis 
mus weg und der Überzeugung sein, der jetzt entfachte Völkerhaß dürfe uns nicht abhalten, künftig, 
wie vorher, das Gute auch in der Kultur der uns feindlich gesinnten Völker anzuerkennen und zu
	        
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