Volltext: Neue Jugend (1-5;7-11/12)

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uns jetzt selber mit ihren Eisenarmen umpackt und for 
derte gebieterisch ihr Opfer.“ 
Ein Streichholz flammt jäh auf. Und, während er seine 
Zigarette anzündet, kann ich, nur für wenige Sekunden sein 
mir so bekanntes Gesicht noch einmal betrachten. Es ist 
keine große Veränderung mit ihm vorgegangen. Ruhig und 
ernst, wie im Schmerz versteinert, sieht es aus. Nur ein 
vibrierendes Zucken der Nasenflügel und der unruhige Blick, 
mit dem er den hastig ausgestoßenen ersten Rauchwolken 
seiner Zigarette folgt, verrät mir seine innere Erregung. 
Dann fuhr er, tonlos, mit einer rauhen Stimme, die 
an eine zerbrochene Glocke erinnerte, fort. 
„Nun, das Ende kannst du dir ja eigentlich denken. 
Nicht aber meine Verzweiflung. Nicht aber diese Hoffnung, 
die sich an jeden Strohhalm knüpft, und diese Angst, diese 
furchtbaren Ahnungen und nicht zuletzt meine eigenen Kör 
perqualen. Anfänglich hatten wir in einem Zimmer gelegen, 
waren aber bald trotz meiner Gegenanstrengungen getrennt 
worden. Das war für mich, der ich selber Arzt war, die 
Gewißheit. 
Dennoch wurde mir die wirkliche Nachricht noch lange 
nach seinem Tode verheimlicht. 
|Doch als ich es dann schließlich erfuhr, war mein 
Schmerz, meine Trauer, meine Wut unermeßlich. Mit einer 
direkt tierischen Wut warf ich zuweilen meinen Pflege 
rinnen die unmöglichsten Gegenstände an den Kopf. 
Doch, schreckliche Ironie des Schicksals, jetzt, wo mir 
nichts, aber auch gar nichts mehr am Leben lag, und ich, 
um möglichst bald zu enden, sogar des öfteren Selbstmord 
versuche machte, die aber immer vereitelt wurden, jetzt 
genas ich zusehends. 
Allmählich kam auch die Resignation des Rekonvaleszen 
ten über mich. Ich begann mich für anderes wieder zu inter 
essieren, ich wurde wieder Mensch, das heißt bis jetzt nur 
ein halber, wieder Arzt. 
Doch habe ich mich innerlich noch lange nicht abge 
funden. Und nur durch diese aus Höflichkeit, Arbeit und 
Pflichttreue aufgeführte Mauer, welche wir Leben nennen, 
dämme ich diesen großen, ungeheuren Schmerz zurück. 
Doch manchmal bricht er wieder durch, durch diese 
eisige Mauer, dieser ursprüngliche, natürliche Schmerz, der 
in seiner Maßlosigkeit Bahnen betritt, die man Irrsinn und 
Tobsucht nennt.
	        
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