Volltext: Nr. 1(1917), Mai (1)

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NEUE JUOEND 
== 3 
phantastischeVerssnob, der Menschrnichts, sie haben keine Sehnsucht 
des Morphins, der bewusst Unnüch 
terne, der Verpester der gleichgül 
tigen Augenblicke. DerneueMensch, 
der das Gewicht seiner Persönlich 
keit hat, hasst den Klamauk, den 
unnützen Lärm, das Plärren um des 
Plärrens willen, alle Faxen erogen 
excitierter Jugendlichkeit; denn er 
weiss zu gut, was die Zeit von ihm 
will — sie will das Männliche und 
Tüchtige, die Einfachheit, die So 
lidität. 
Simplizität führt viel schneller 
zum Ziel als eine Verrenkung irgend 
welcher Art und der Eingeweihte 
bekommt einen scharfen Blick für 
gestellte Wunderlichkeiten und jong 
lierte Phantastik; und dies vor allem, 
es wird ihm zur Pflicht, der neue 
Mensch macht es sich zur Pflicht: 
alle Umwege der Artistik versperrt 
man sich selbst aus angeborenem 
Ordnungsgefühl und innerer Reinlich 
keit. „Träge“ nennt der neue Mensch 
deshalb alle diejenigen, die unwahr, 
darum umwegig, harzeliert und ver 
schwommen sind. 
IV. 
Es bleibt das punktum maximum 
und die Frage aller Fragen. Was 
ist Demut? Waren die demütig, die 
die Menschen in naiven und guten 
Stunden verehren, Christus, Göthe, 
Dostojewski,? Der neue Mensch 
schickt sich an, zu antworten: De 
mütig sind alle ui©, uie an den S.nn 
der kleinsten Dinge glauben und des 
halb einegrosseRuhe und gesicherte 
Erwartung in ihrem Herzen tragen. 
Das langsame Wachsen der se- 
lischen Erregung vergleicht der neue 
Menschden natürlichen Dingen allein. 
Er richtet seinenBlickaufdiePflanzen, 
die an seinem Fusse blühen und er 
beobachtet die Organismen, die er 
mit seinem Stiefel zu zertreten sich 
hüten muss. Ein Gewitter schwillt 
an, Wolken sammeln sich über der 
Stadt, brüllend folgt nun die Deto 
nation. Ein Berg steht auf, dein er 
staunter Blick hängt an ungeheuerer 
Schattenwand und eine rote Sonne 
füllet die Welt gieichmässig mit ihrer 
Wärme. Das Mannigfaltige aller Be 
wegungen, den Sturm und die Ruhe 
der grossen Formen, das auf und 
ab, das hin und wieder, Ebbe und 
Flut, das Kreisen der Monde —alles 
umfasst der neue Mensch mit seiner 
Seele, die an den Dingen wächst. 
Der neue Mensch fühlt seine Demut 
in der Kenntnis der Dinge. Er weiss 
das Leben der Protozoen und er 
kennt das Wachstum der lebenden 
Substanz bis zu den Gehirnbahnen 
des Menschen — o — er hat sich 
vertieft in die barocke Wunderlich 
keit ältester Gesteinsformationen und 
der Dom von Toledo zählt zu seinen 
intimsten Freunden und Gesprächs 
genossen. Der neue Mensch sagt: 
DieModernen wissenvon den Dingen 
nach der Rundung der Gegenstände, 
die Sinnlichkeit der Formen rührt 
ihre Netzhaut nicht, am trägsten aber 
sind die Dichter. Mit Versen lässt 
sich keine Welt erobern. Die Mo 
dernen wissen nicht,dass einTropfen 
Wasser den Extrakt aller Dramen 
Shakespeares enthält, sie wissen 
nicht, dass der Blick auf ein eng 
begrenztes Stück Wiese eine Tiefe 
des Himmels entschleiern kann. De 
mut ist meine Kenntnis aller Formen 
und mein Glaube an ihre Göttlich 
keit — wie kann man, frage ich, ab 
strakt sein, malen, schreiben, bild- 
hauern, wenn man nicht Dinge hat, 
von denen sich abstrahieren Hesse“. 
Der neue Mensch verwandelt 
die Polyhysierie der Zeit in ein 
ehrliches Wissen um alle Dinge und 
eine gesunde Sinnlichkeit. Der neue 
Mensch zieht es vor, ein guter Aka 
demiker zu sein, wenn er die Mög 
lichkeit hat, ein schlechter Revolu 
tionär zu werden. Jenes antike 
Mädchen bleibt Vorbild wenn sie 
sagt: Nicht mitzuhassen, mitzu 
lieben bin ich da. Alle Problematik, 
jeder Satz, jede These kann und darf 
nurlnterpretationdieserSentenzsein. 
V. 
Der neue Mensch hält folgende 
Rede an seine Jünger und Zuhörer: 
Suchet euch einen Mittelpunkt für 
euer Leben und beginnet wieder an 
diegrossen Eigenschaften der Heiden 
zu glauben. Wo ist euer Plutarch, 
aus dem ihr lernen könnt, was es 
heisst für geistige Dinge zu sterben ? 
Warum rührt es Euch nichtzuTränen, 
wenn ihr von den Märtyrern lest, die 
sich für ihre Ueberzeugung rädern 
Hessen — warum habt ihr keinen 
Begriff von der Schönheit und dem 
Mut einer Jeanne d’Arc, warum fallt 
ihr nicht auf dem belebten Platz auf 
die Knie wie Raskolnikow und schreit: 
Herr, Herr, schaue auf mich herab, 
ich bin ein sündiger Mensch. Ihr 
habt kein Verhältnis zu den Dingen, 
ihr seht über die kleinen Dinge hin 
weg zu grossen fiktiven Bergen — 
ihr sucht den Heiland in aller Welt 
und denkt nicht an euer Herz, das 
in ängstlicher Brust der Erlösung 
entgegenschlägt. Warum denkt ihr 
nicht an den Tod — jenen grossen 
allmächtigen Tod, den Tod der spa 
nischen Stierarena, den Tod der 
antiken Relieffe, denTod derCholera 
und Beulenpest — warum denkt ihr 
nicht an ihn, der die Glieder ausein- 
anderreisst und die Familienmit 
glieder in Mordsucht aufeinander 
hetzt? Warum denkt ihr an nichts, 
was die Welt gross und furchtbar 
macht? Wie? Seid ihr nicht klüger 
als der kleinste Medizinstudent und 
naturwissenschaftliche Figurant, der 
eine physiologische Angelegenheit 
aus dem Leben der heiligen Mutter 
macht? Der neue Mensch weiss 
den Tod zu fürchten um des ewigen 
Lebens willen; denn er will seiner 
Geistigkeit ein Monument setzen, 
er hat Ehre im Leib, er denkt edeler 
als ihr. Er denkt: Malo libertatem 
quam otium servitium. Er denkt: 
alles soll leben — aber eins muss 
aufhören — der Bürger, der Dick 
sack, der Fresshans, das Mast 
schwein der Geistigkeit, derTürhüter 
aller Jämmerlichkeiten. 
R. Huelsenbeck-Verlag, Berlin 
Luisenstr. 25 I. Telef. Norden 6492 
Vertreter 
für Holland und Skandinavien gesucht. 
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IM JUNI erscheint die Kleine 
Kleine GROSZ Mappe 
Kleine GROSZ Mappe 
Kleine GROSZ Mappe 
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Die Mappe enthalt 
Hundert nummerierte Exemplare 6 25 Mark, dergleichen fünfzehn auf 
Kaiserlich Japan, vom Zeichner signiert, a_35_Mark_. Die Exemplare Nr. 1-5 je 
52J¥!LL^.l. B8i Subskription ermässigt sich der Preis jeder Mappe um 10 Mark. 
Schluss der Subskriptionsliste 10. juni 1917. 
DER MAL IK — VERLAG, 
BERLIN-HALENSEE, KURFÜRSTENDAMM 76 
2.0. Juni 1917 
KINO 
VIII, 
VORTRAGSABEND 
für 
DEKORATEURE 
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KRITIKER 
Die 
veranstaltet Mitte nächsten Monat einen 
Propaganda- Ülftl 
für MfehlllllllS fachleute 
Gäste haben nur nach vorher- 
gehender persönlicher 
Einladung Zutritt 
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GESPRÄCH: Der Herr zu dem Mädchen: 
Tanze Leilah, tanze — Salome Du, um ein 
halbes Königreich tanze. 
Und das Mädchen: 
Es ist kein Jochanaan da, um dessen Haupt 
zu tanzen sich lohnte. 
Der Herr zu dem Mädchen: 
Tanze Leilah, tanze, Ich — biete mein — 
eigenes haupt 
Und das Mädchen: 
Pardon, Prinz, Ihr seid bereits kopflos. 
Später stammelt der Herr: 
Du bist bleich und dunkel, müde und schwer, 
man sollte Dich kühlen in seidene Schleier, Dich 
kühlen in seidene Schleier, Dich schmücken 
mit kalten Edelsteinen. Du bist wie Blumen, 
matt wie betäubenden Dufts — wie Trauer 
musik alle Sinne einschläfernd. Du bist wie 
ein tiefer schwerer Traum, in den man wehr 
los und hilflos hineinsinkt. Unsere Wünsche 
sind Vögel, die Dich gierig umflattern. Schlange 
mit den grüngoldenen Augen, Du hast sie alle 
verzaubert, dass sie sterben müssen vor Deinem 
Blick — oh ...... 
Ußonnementöemfabuna. 
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tu „OXeue Jugend“! 
Vierte(jäf)rfi0 3 33t, 
der 331 atit'Vertag, Vertixi'&alenfee, JZurfürftenbamm 76‘
	        
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