Neujahrstelegramme Auserwählter
Neueste Telegramme Wilhelms II.
An die „Pleite“.
Sofort! Dringend! Amerongen, 4. Januar.
Erbitte umgehend Rechnung für die Pleite. Will alles
bezahlen. Nicky hat falsch verstanden. Gott hat mir
neuen Auftrag gegeben. Werde Weltrevolution dirigieren.
Willy.
Antwort der Schriftleitung:
Quatsch, Sie Oberstiesel von Gottes Gnaden. Küm
mern Sie sich um Ihre Pleite! Uns genügen Ihre Rand
bemerkungen. Pleite
An Ebert.
Amerongen, 5. Januar 1920.
Fritz Ebert, Präsident, Berlin. Komme morgen, bitte
Platz räumen. Wilhelm
von Gottes Gnaden, Präsident
der Republik Deutschland.
Rückantwort Eberts:
Willy kann kommen, wenn mir durch die Uebergabe
der Schloßkneipe Einnahmeausfall infolge Präsidentschafts
verzicht garantiert wird. Meine Sattlerkunst ist zu Ende.
Fritz
Kneipwirt der Republik Deutschland
Berlin W., Wilhelmstraße.
An Hindenburg a. D., Hannover.
Erwarte mich Sonntag an der Spitze der Roten Garde.
Habe mich entschlossen, die Schweine in Frankreich und
England mit Revolution zu überfallen. Sofort Lenin be
nachrichtigen, daß Trotzki und Radek zu meiner Verfügung
gestellt werden. Werde Oberbefehl gesamter internationaler
roter Armee übernehmen. Willy
Diktator des Weltproletariats
Amerongen.
Hindenburg hat die Depesche mit der Randbemerkung
retourniert:
Oller Dussel! Du bist verrückt geworden! Die Russen
werden Noskau alleene erobern. Telegraphiere Deinen
Blödsinn an Noske. Das ist der gleiche Quatschkopf wie Dul
Hannover. Hindenburg, Generalfeldmarschall.
Oberbürgermeister Scheidemann, Cassel.
Wenn Sie bei Parvus und Sklarz fertig sind, kommen
Sie zu mir. Werde Sie zum Reichskanzler der Welt
revolution ernennen. Von morgen ab: Wilhelmstraße 76, A.A.
Willy
Exkaiser, ehemals Vorsitzender der Betriebsräte
aller Schieber von Gottes Gnaden; jetzt Amerongen.
Scheidemann telegraphierte zurück:
Majestät, auf den Knien danke ich Gott für die Er
leuchtung; werde sofort bei Parvus und Sklarz kündigen.
Kann ich Oberbürgermeisterposten beibehalten? Geschäft
ist Geschäft.
Alleruntertänigst in ehrfurchtsvoller Erwartung
Scheidemann
Meisterschieber der Weltrevolution
z. Z. Cassel.
Club dada, Berlin.
Sofort dadaistische Zeichnung von mir als Diktator des
Weltproletariats an der Spitze der Völker Europas, wahrt
eure heiligsten Güter, neue Auflage, einsenden. Dringend!
Originalskizze von mir unter Weihnachtsbaum beilegen.
Honorar ohne Beschränkung. Willy
Dadamäcen (immer dada)
Amerongen.
(Der Club dada hat sich infolgedessen aufgelöst.
Er konnte alles ertragen. Aber eine Depesche
Wilhelms II. war dem Club dada unerträglich).
Oberdada.
Ebert an Krupp von Bohlen-Halbach.
Berlin, den 30. Dezember.
Lieber Bohlen! Eine kleine Neujahrsüberraschung: Die
Berliner medizinische Fakultät hat Sie auf meinen Vorschlag
hin in Anerkennung Ihrer hervorragenden Verdienste um die
Verwendung humaner Geschosse zum Ehrendoktor ernannt.
Noske erzählt mir, Sie hätten so großzügig zur National
spende für die Baltikumkämpfer beigetragen; ob Sie viel
leicht ein paar Neujahrsmilliönchen für seine neueste Schöp
fung übrig hätten: für die „Bürokratische Nothilfe“, welche
den drohenden Beamtenstreick ersticken soll.
Marloh an Assessor Hiller.
Auf Festung, den 30. Dezember.
Gratuliere Kamrad! Urteil war ja logisch. Zu erwartende
Revision wird auch linken Blättern Maul stopfen. Habe mir
übrigens erlaubt, Ihnen zu Ehren Liebesmahl zu arrangieren.
Kessel, Pabst, Penther, Reinhard, Roland, Zumbroich, Weiß
mann, Winnig, Hörsing, Bermondt und Noske geladen. Für
alkoholische und erotische Reize gesorgt. Vielleicht bringen
Sie noch unsern Verehrer, Rechtsanwalt Hirschfeld.
Kameradschaftlich Ihr Marloh.
Erzberger an den Papst.
Berlin, 30. Dezember 1919.
Heiliger Vater! Es erfüllt mich mit Beseligung, Dir die
Stimmenmehrheit des deutschen Volkes an der Schwelle des
Jahres 1920 zu Füßen legen zu dürfen; die nächsten Wahlen
versprechen uns die Macht über Deutschland. Deine En
zyklika gegen den Bolschewismus hat wahre Wunder ge
wirkt: Die Liga zur Bekämpfung des Bolschewismus mit
ihren ungezählten Anhängern hat sich dem Zentrum an
geschlossen, so daß die Chancen der evangelischen Majestät
zu Holland nicht mehr in die Wagschale fallen. Wenn Du,
heiliger Vater, ein Letztes tun willst, so geruhe, unserm fehl
gläubigen Bundesgenossen, dem Minister Conradus Haenisch,
ein Zeichen Deines Wohlwollens übermitteln zu lassen.
Frater Matthias.
Der Papst an Haenisch.
Rom, den 31. Dezember 1919.
Mein lieber Sohn Conradus! Für Deine tätige Unter
stützung der heiligen Kirche, erteile ich Dir pränumerandum
Absolution aller Deiner Sünden für das Jahr 1920.
Benedict.
Haenisch an den Papst:
Berlin, den 1. Januar 1920.
Heiligster Vater! Tief gerührt von Deiner Güte, gebe
ich Dir das Versprechen, in Eintracht mit Bruder Matthias
im Sinne des heiligen Stuhles zu wirken. Erlaube mir,
heiligster Vater, die ehrfürchtige Bitte, auch für meinen
Freund Parvus Deine gnädige Absolution zu erflehen.
Untertänigst Frater Conradus.
W. H.
Gibt es ein Gottesgnadentum
nach dem Kriege?
Nachdem die „glanzvolle Monarchie“ sich als
Millionennepp eines Schwachsinnigen enthüllt hat,
muß selbst der Demokrat zu dem Glauben kommen,
daß wenn Gott schon kein Monarchist, so doch ein
Gegner der liberalen Presse war und sie mit Blind
heit geschlagen hat. Enthüllungen sind zwar journa
listisch betrachtet vorzügliche Schlager, beunruhigen
jedoch den Leser und untergraben das Autoritäts
gefühl. Man tut daher gut, sich für das erste Bei
blatt etwas aus Holland über den Gemütszustand
und die grauen Haare unseres (trotz Allem) Kaisers
telegraphieren zu lassen. (Loyalität von Voß und
Tageblatt).
Das deutsche Volk, dem, unfähig zur Selbstjustiz,
die Auslieferungsfrage überhaupt noch Frage und
Problem sein kann, befindet sich somit in einer
Zwangslage.
Haenisch hat zwar den lieben Gott nicht abgesägt,
nur z. D. gestellt, aber Gott sei Dank! Die Standes
unterschiede bestehen fort. Man wollte es mit „oben ‘
nie ganz verderben. Immerhin, irgendwo stimmt es
nicht, und Scheidemann soll der Vorsehung bereits
mit 1000 Mk. unter die Arme gegriffen haben.
Da haben ja weiß Gott! die „rechts“ es leichter.
Wenn Typen wie Hiller der deutschen Gerechtigkeit
als Assessoren beiwohnen, sind die Abhängigkeiten
genau so gottgewollt wie der Kreuzzug ins Baltikum,
Gibt man zu, Gott sei Kapitalist, also geldgewollt,
so könnte ein Proletariat auf den Gedanken kommen,
auch ein Lohnstreik sei heilig, und der deutsche
Pfarrer ginge infolge Valutasturz pleite.
Aus all dieser Wirrnis treibt der innere Kurs
langsam aber sicher opportun in die Hände unseres
einzigen Fachmanns, des heiligen Matthias.
Und „man“ wundert sich mal wieder, was alles
geschehen kann, wenn man einen Weltkrieg und
eine Revolution verloren hat.
Walter Mehring.
Christlichsozial . . .
Die Armut ist ein großer Glanz von Innen, mein Gotte
doch, Mutter gib mir nur ganz miese Lumpen, damit nie
mand mir meinen großen Glanz ansieht. Was müssen die
Menschen bloß von mir denken, daß ich so glänzre. Dafür
will ich ja gerne in die Glasbläserei gehen, meine Lunge
auspusten, damit die Leute, die man fälschlicherweise reiche
nennt, so’n bißchen was von meinem Glanze abkriegen.
Oder in die Kohlengruben. Damit denen, die Ehren ge
nießen, warm wird im Winter. Oh, wie gerne lass’ ich
mich ausnutzen! Ich bin ja selig in meinen armseligen
Lumpen. Es ist zwar bißchen kalt grade, so ohne Mantel
und Löcher in den Schuhen — aber dafür hab’ ich doch
eine Lunge, die voll Kohlenstaub ist — ganz schwarz inne
wendig. Hat je ein Reicher so eine Lunge gehabt? Nein,
ich habe viele Besonderheiten. Da machte mir neulich
meine große Frostbeule am recheten Fuß viel Spaß. Ich
muß immer an das Himmelreich denken, in das ich bald
kommen werde. Dort brauche ich gewiß keine Leberwurst
essen, damit ich mir den Magen nicht verderbe. Ach, wie
herrlich geht es mir gegenüber jenen, die viel Geld und
feine Kleider und einen vollen Magen haben: an ein Heim
bin ich nicht gebunden — jeden Morgen, wenn wir in
unserem feuchten Keller erwachen, wo wir zu 14 schlafen,
immer zweie in einem Bette, da sind wir alle froh, daß wir
auf Arbeit müssen. Wir danken alle dem guten Gott, daß
er uns so eine schöne Rolle zugeteilt hat. Wir lassen uns
Hindenburg-Frühstück
von Kind an zu seiner Ehre 'und 'zum Wohlergehen der
Reichen willig aussaugen. Hunger ist der beste Koch!
Wie wahr ist dies Wort! Wie mein Vormund immer sagt,
der Lumpensammler: „Welch’ ein Fest ist es, im Müll
eines feinen Hauses ein Stück Speck mit Maden zu finden.“
Und wir selbst: wie schön schmeckt unsre wöchentliche
Kartoffel oder die Kohlrüben. Oh, wie schlecht verstehen
diese Leute, die alles haben, zu genießen! Was Genuß ist,
das wissen nur wir. Wir haben wahrhaft schöne, menschen
würdige Berufe, die wir nicht um alles Geld auf der Welt auf
geben möchten. Krankheit und Elend gibt es herrlich viel bei
uns. Darum sind wir dem Himmel so nahe. Und dabei passen
wir denn sehr auf, das unser innerer Glanz nicht aus uns hinaus
strahle. Den möchten wir";uns nicht gern nehmen lassen
einesteils — und andernteils müßte er die andern Menschen
beschämen. Unsere Tugend aber heißt Demut. Geduldig
das Schlimme zu tragen, als ob es das Glück wäre: das
hat uns Jesu von Nazareth gelehrt. Der ohne Murren das
Kreuz trug. Wir sind allerdings noch etwas weiter ge
kommen als er, der nur das blühende Schwindsuchtsalter
erreichte und nur bis Golgatha kam — unser Elend nimmt
Gott sei Dank nicht so schnell ein Ende. Es dauert unser
ganzes Leben. Oh, wie süß ist die Armut, wer sie nicht
hat, weiß nichts von der Seligkeit, von der Zufriedenheit,
von der Bescheidenheit: kurz, der kennt das Glück nicht.
In früheren Zeiten war es ja allerdings noch besser für uns
als jetzt. (Schluß folgt) Raoul Hausmann.
Neue Verse
zu dem alten geräucherten
„Flundern-Couplet“
(Alle Rechte Vorbehalten)
Hat einst sein Weib Herr Siegfried Meier
Zum hellerleucht’ten Schloß geführt,
Dann zeigt er ihr zur Neuja'hrsfeier:
„Da sitzt er oben und regiert —!“
Läßt heut’ nach ’ner Champagnerstärkung
Das treue Volk ’n Ständchen hör’n,
Heißt’s: Noske macht jetzt Randbemerkung,
Bitte Weitergeh’n und nicht zu stör’n!
Das tut die Flundern nicht mehr wundern,
Das kenn’ se schon vom Großpapa,
Und selbst die dürren Störe schwören:
Das war ja alles einmal da.
Ein Kriegsverwund’ter brüllt auf Stelzen:
„Hier’n Kreisel, der: Heil Kaiser spielt!“
Ein Muschko kommt in dicken Pelzen:
„Au Backe, wat? wie der sich fiehlt!“
„Kam’rad, bei Dir scheints noch zu reichen!“
Da sagt ’n and’rer: „Mensch, so dumm!
Den darfste nich mit uns vergleichen,
Der kommt doch aus dem Baltikum!“
Das tut die Flundern nich mehr wundern,
Man hört kaum ihren Magen klöhn’n!
Und nur die süßen Krabben schwabbeln:
So’n Leutnant is zum Fressen schön!
Nu brat’ mir’n Storch! Da zieht die Wache!
Das nennt man doch Sozialerfolg,
Der Kleene kiek! Daß ich nich lache!
Piept: Stramm jestan’n! Prost Neujahr Volk!
Du glaubst, die Kruke macht sich wanzig,
Du glaubst wohl gar: das war einmal?
Prost Neujahr 1920
„Z’ B’fehl, Prost Neujahr, Herr General!“
Da tun sich selbst die Flundern wundern,
Der Kaviar denkt: Leck’ mir’n konkav!
Und nur der deutsche Stockfisch faktisch
Weint noch gerührt im Dauerschlaf!
WALTER MEHRING.