Volltext: Ausländische Kunst in Zürich

Versuchung — den Anspruch — gespürt, die Ausstellung 
zu einem ‚Gang durch die europäische Kunstgeschichte‘ 
vom hohen Mittelalter, das heißt, vom 10. Jahrhundert, bis 
zur Gegenwart, aufzurunden; nicht um damit die gerade 
heute als verbindlich betrachtete geschriebene ‚Kunst- 
geschichte‘ zu bestätigen, sondern um mit zu helfen, diese 
jeden Tag in Frage zu stellen und aus der in keinem 
Moment endgültig und vollständig Faßbaren Fülle der Er- 
scheinungen und Zusammenhänge jeden Tag zu erneuern. 
Die Substanz der Ausstellung könnte aber eine satte Ge- 
samtdarstellung nicht bestreiten. Sie beruht in der Haupt- 
sache auf dem Besitz von Privatsammlern, von Einzel- 
menschen, deren ein jeder dem Gesetz in seiner eigenen 
Brust (und dem seines eigenen Porteteuilles, das ja so nah 
der Brust verwahrt wird) untersteht. Jeder sucht als 
Sammler nach seiner eigenen Fasson selig zu werden und 
hat das Recht, seinem persönlichen Geschmack und seiner 
privaten Lust zu folgen. Eine Verpflichtung auf Einfügung 
in den Dienst eines überpersönlichen Gedankens, auf 
kollektive Leistung, gilt hier nicht. 
So bedeutet die Ausstellung eine im wissenschaftlichen 
Sinn nicht verbindliche Blütenlese. Sie bietet anderseits 
auch aus dem zürcherischen Sammlerbesitz nur Stich- 
proben, weil gewisse Werke durch noch bestehende Eva- 
kuierung und andere in den besonderen Zeiten bedingte 
Umstände ihr vorenthalten bleiben mußten. 
Die Ausstellung ist zu groß! Es scheint, daß wir, als 
Enkel, gegenüber manchen Dingen müde geworden sind. 
In vollem Ernst ist letzthin in einer Zürcher Zeitung 
festgestellt worden, daß der Durchschnittsbesucher dem 
einzelnen Kunstwerk nicht mehr als zehn Sekunden 
widme, und daß eine Kunstausstellung als Ganzes nicht 
mehr als eine halbe Stunde Aufmerksamkeit verlangen 
sollte. Zu bemerken ist dabei Freilich, daß diese Zeiten nicht 
in Zürich, sondern in Basel gestoppt worden sind, wo 
innerhalb einer großen Tradition von mehr als einem 
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