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vereinsteint. Alle Kenntnisse sind relativ. Ab
solut ist künstlerische Erkenntnis. Absolute
Musik, an anderen Körpern wahrnehmbar,
ist: „Whispering“, Foxtrott von John Schön
berger (Eric Concerto’s Yankee-Jazz-Band).
John Schönberger ist kein Komparativ von
Arnold Schönberg, aber umso positivere
Kunst. „Jonny“ von Friedrich Holländer,
„Peaches in Georgia“, Fox-Trot (Jazz Band
The Original Picadilly Four). Der Kom
ponist hat nicht einmal einen Namen, aber
dafür kann er komponieren. Ein unbe
kannter Meister.
Q Variete delectat
Artisten arbeiten und Künstler denken.
Artisten können etwas, Künstler denken
etwas. Ein Mann hebt ein paar Eisenge
wichte. Viele andere denken, das können
wir nicht. Sie fühlen eine Überlegenheit
und sind bezwungen. Hingegen wird es
hohe Kunst, wenn Fräulein Müller auf
der Bühne richtige Tränen weint; trotzdem
ihre Bekannten genau wissen, dass sie
eigentlich lustig ist. Sowie die Tränen
kommen, geht es auf die Kunst über. Das
Fräulein kann sich so verstellen, als obste
natürlich bist. Plötzlich beweist der Mann
dem unterlegenen Publikum, dass seine
Gewichte aus Pappe sind. Herzliche Freude.
Aber die Wirkung der Unterlegenheit war
doch da. Man dachte auch nicht so sehr
an die Schwere der Gewichte. Sie sahen
nur sehr gross aus. Also sie sahen aus.
Also ein optischer Eindruck. Und der
Mann bewegte die Gewichte im Rhythmus
der Schwere. Also Bewegung. Nur die
Träne hat er vergessen. Der Excentric be
handelt seinen Partner als Gliederpuppe.
Denkende Menschen fürchten für die Ge
hirnkraft des Menschen als Gliederpuppe.
Er wird vielleicht das Berliner Tageblatt
nicht mehr lesen können. Oder die Kultur
wird spurlos an ihm vorüber gehen. Im
Übrigen ist es sehr komisch. Herzliche
Freude. Die Gliederpuppe, die natürliche,
löst diese Wirkung nicht aus. Liegt die
Komik darin, dass ein Mensch so tut, als
ob er eine Gliederpuppe wäre. Aber wenn
eine Gliederpuppe so tut, als ob sie Mensch
wäre, plötzlich ist es Plastik. Skulptur.
Also hohe Kunst. Die Plastik bewegt sich
zwar nicht mehr, dafür ist sie sprechend
ähnlich. Man kann sich sogar denken, dass
sie weint. Die falsche Gliederpuppe, der
Mensch nämlich, schlenkert mit den Armen.
Herzliche Freude. Niemand kann sich der
Wirkung der Komik entziehen. Dabei
schlenkern wir doch alle mit den Armen.
Also das Schlenkern kann es nicht sein.
Vielleicht hat der Mann einmal überlegt,
in welchen Zeitabständen er schlenkert,
wann, wo und wie oft er sich bewegt.
Überlegt muss er wohl haben. Denn
am nächsten Abend wiederholt er genau
dasselbe. Hingegen ist Fräulein Müller
heute garnicht in Stimmung. Sie „spielt
nicht“. Oder der Herr von der Presse
schreibt, sie hätte viele Niiancen. Oder
sie hätte Auffassungen. Sie lebt sich in den
Geist ein. Man glaubt ihr bald die Jung
frau von Orleans, so natürlich spielt sie sie.
Der Herr von der Presse kennt nämlich
die Jungfrau persönlich, die von Orleans,
er kann es also beurteilen. Dressierte
Affen tanzen den Rixdorfer, als ob sie
Menschen wären. Menschen sehen hin
gegen wie Affen aus, wenn sie etwas anders
als Walzer tanzen, sagt die Ästhetik. Im
Variete kann jemand tanzen, das heisst,
Bewegungen optisch zu einem Organismus
gestalten. Diese Art Tanzen, das Kunst
ist, wird zur Entschuldigung grotesk ge
nannt. Grotesk lässt man sich nämlich
gefallen, weil hierdurch die Absicht be
kundet wird, nicht einen natürlichen Men
schen nachzuahmen. Wie der geht und
der steht und der fällt. Der Kunsttanz
hingegen wird mit der Seele ausgeführt.
Das Gesicht leidet. 0 wie ich leide. Die
Dame vergisst indessen zu tanzen, weil sie
doch einen Augenblick leiden muss. Macht
nichts. Beim Leiden kann man sich be
stimmt etwas denken. Musik von Chopin.
Indessen gestalten Equilibristen lebende
Bilder. Gestalten Bewegung in Bewegung.
Variete delectat. Es werden lebende Bilder
gestellt. Unsere klassischen Malermeister
werden versinnlicht. Meistens durch Damen
mit Zinkweis und Goldbronce, persönlich
auf den Leib geschmiert. Die Kunst wird
vernatürlicht. Das Publikum langweilt sich
zu Tode. Nur die Kenner denken an ihren
Michelangelo. Er wird ihnen mit Gold
bronce näher gebracht. Zum Schluss be
wegen sich die Damen dankend, damit die
Kavaliere nicht etwa denken, sie seien aus
Stein. Auch Goldbronce lässt sich abwa-