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Diebesehre und ihre „Zinken“ — im internationalen Verkehr,
in den Winkeln der Hotelfoyers, und in den Speisewagen der
Mitropa fällt die Maske des Geistes schnell, man hat zu wenig
Zeit, um sich die Ideologie vorzubinden, die dem anderen ge
fallen könnte. Manolescu, der große Hoteldieb, hat Memoiren
geschrieben, die hinsichtlich der Diktion und des „esprit“ höher
stehen als alle deutschen Memoirenwerke, die der Krieg her
vorgebracht hat. Marinetti hat sehr viel von dem kommenden
großen Literaturmagier, der ebensogut Golf spielt als er über
Mallarme plaudert, oder wenn es sein muß, altphilologische
Betrachtungen anstellt und dabei doch weiß, welcher Dame der
Gesellschaft er ein Engagement zu zweien anbieten kann.
In den Städten saßen sie, malten ihre Bildchen, drechselten
ihre Verse und waren ihrer ganzen menschlichen Struktur
nach trostlos deformiert, mit schwachen Muskeln, uninteressiert
für die Dinge des Tages, Feinde der Reklame, Feinde der
Straße, des Bluffs und der großen Transaktionen, die täglich
das Leben von Tausenden in Frage stellten. Ja, das Leben!
Der Dadaist liebt das Leben, weil er es täglich wegwerfen kann,
ihm ist der Tod eine dadaistische Angelegenheit. Der Dadaist
sieht in den Tag mit dem Bewuß;sein, daß ihm heute ein Blu
mentopf auf den Kopf fallen kann, er ist naiv, er liebt die
Geräusche des Metropolitain, er ist ein Habitue in Cooks
Reisebureau und kennt die Praktiken der Engelmacherinnen,
die hinter den fest verschlossenen Gardinen die Föten auf
Löschpapier trocknen, um sie dann als Malzkaffee zerrieben in
den Handel zu bringen. Dadaist sein kann jeder. Dada ist
nicht auf irgendeine Kunst beschränkt. Dadaist ist der Mixer
in der Teedielen-Bar, der mit der einen Hand Cura?ao schenkt
und der anderen seine Gonorrhoe auffängt. Dadaist ist der
Herr im Regenmantel, der schon zum siebtenmal die Reise um
die Welt antritt. Dadaist ist der kleine Heini mit dem Wasser
kopf. Dadaist sollte der Mann sein, der ganz und gar begriffen
hat, daß man Ideen nur haben darf, wenn man sie im Leben
umsetzen kann — der durchaus aktive Typ, der nur durch die
Tat lebt, weil sie seine Möglichkeit der Erkenntnis in sich
schließt. Dadaist ist der Mann, der sich im Bristol-Hotel
eine Etage mietet, ohne zu wissen, von welchem Geld
er dem Zimmermädchen das Trinkgeld bezahlen soll. Dadaist
ist der Mann des Zufalls mit den guten Augen und dem coup
du pere Fran?ois. Er kann seine Individualität loslassen wie
ein Lasso, er urteilt von Fall zu Fall, er resigniert in der