55
„Das Meer“: ein Liebesgefühl wächst zusammen mit der Wassernatur rings
um den Ozeandampfer, Victor Curt Habichts von programmatischer Wucht
und-Willensbewußtsein in der Gestaltung des Schicksals getragenen ägyptischen
Novelle „Echnaton“ endet tragisch in der reine Sehnsucht, die Religion der all
gemeinen Menschenliebe zu verwirklichen, an den natürlichen Widerständen
und schließlich ganz Ekstase Robert Brendels „Große Hure“. Chaos
erleben gebiert in biblischer Welt die Erkenntnis von der Liebe dessen, der
da kommt im Namen des Herrn.
Gläubigem Vertrauen zum Sinn des Seins entspricht auf der anderen Seite
das heitere Sichhinausschwingen über alle materiellen Bindungen. Wohl
selten hat eine Zeit so reiche und sinnvolle Grotesken geschaffen, wie die
gegenwärtige. Sie hat das Vermögen, hinter die Grenzen des Bewußten zu
dringen. In der Welt des Spuks mit der Freiheit wirklichen Humors bei Mynona:
Seine Werke sind nicht um klappernder Erfindungen, um klirrenden Schellen
klanges willen geschaffen, hinter der Spukwelt seiner Phantasie, hinter den
grotesken Sprüngen seines Geistes erhebt sich eindeutig die Kunde vom wahren
Menschentum. Seine tolle Spukgeschichte „Unterm Leichentuch“ ist
eine meisterhafte Offenbarung sinnvoller Weltüberwindung. Eine Parodie auf
Gustav Meyrink Mynona geht noch nicht so weit, wie die Dadaisten, er bleibt
noch im Banne des Grauens, des Unheimlichen, des Erstaunens. Die Dada
isten haben— aus Verzweiflung — hindurchgefunden zum fessellosen Lachen:
Humbug ist ihnen das Menschsein, die Kunst, die Künstler, und sie sind doch
Künstler, darum gerade Mensch, Künstler, wo sie ihren Humbug sarkastisch
offenbaren: etwa in Kurt Schwitters Dichtungen „Anna Blume“. Entma-
terialisiertes Lachen erschüttert hier das Irdische mit im All frei schwebender
Heiterkeit. Fr. W. Wagners „Grotesken“, noch Christian Morgensterns be
rühmten Versen hier und da nahe, sind voll lebenswiegenden Gelächters.
Erschütternder Schönheit und Gefühlseligkeit voll zeigt sich aller Expres
sionismus, wo er ganz Ekstase, ganz Stimmung ist. Carl Hauptmann schreitet
hier der Jugend voran mit drei Legenden „Lesseps“, „des Kaisers Lieb
kosende“, „der schwingende Felsen von Tandil“, die letztgenannte
die geschlossenste Komposition. Victor Curt Habicht gibt in einem drei-
aktigen Mysterienspiel „der Triumph des Todes“ das Todeserleben des
Krieges in seiner Kristallisation. Franz Weinrich zaubert in einem Gedicht
„Himmlisches Manifest“ voll besonderen Sprachreichtum die Entwicklung
der Zeit aus Kriegsmordsstimmung in „hafenfrohes“ Eingehen der Menschen in
Gott an den Tag. Persönliche Lyrik offenbaren Kasimir Edschmid in be
rauschenden, rauschvollen Liedern, Hymnen, Strophen, „Stehe von Lichtern
gestreichelt“, die zu den schönsten und kühnsten Versen heutiger Dichtung
zählen. Anton Schnacks Gedichte „Die Tausend Gelächter“ machen
mit einem Sänger der Naturverlorenheit und einem Menschen bekannt, dessen
Stimme bald über weite Räume schwingen wird. Berta Lasks „Stimmen“
enthüllen, wie das Allgefühl die Frauenseele vertieft und süßer macht. Rudolf
Leonhard schreibt zarte, innige, keusch sinnliche „Briefe an Margit“ voll
Leidenschaft, Wärme, Blut und Farbe. Neben ihm wirken Olafs formvollendete
Verse des antiken Eros „der bekränzte Silen“, in denen die Knabenliebe
auf seelisch vornehme Art besungen wird, ein wenig zu sehr als Silberstift
zeichnung, bei aller Feinheit, die in ihnen lebendig ist.
Doch nirgend eine Stimme, die zu töten unberechtigt wäre. Dichtung. Kunst
wuchs hier aus dem Leben der Jugend.