Volltext: Sirius : Monatsschrift für Literatur und Kunst (2)

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kleinmütiger Anfechtung aus den Gründen; bunt lagen die Städte und 
Wälder und Wiesen im Tal, aber sie hatten kein Echo, und auf den Graten 
stand ich allein dem Gotte gegenüber, dem ins Antlitz zu schlagen nun Alles 
stolz war, und hielt die Hände empor, wie ein Opfer darzubringen, aber 
meine Hände waren leer. Leugneten die, so jetzt Sieger schienen, ihn noch, 
wo er sich ihnen ganz ohne Mantel, Maskenzwang und Marter offenbarte, 
und schämten sich nicht, in seinem Allerheiligsten ausgespieen zu haben, wie 
sollten unsere verrosteten, zagen, dünnen Stimmen die Kraft besitzen, Feind 
liches niederzusingen, wie sollte unser Glaube die innerste Erfülltheit be 
kommen, leibhaftig Zeugnis abzulegen? Wer wäre gegürtet und gerüstet 
genug, Prediger in der Wüste zu sein, und, da schon Rufe von Unten ver 
worren zu beginnen schienen, wo war Der, geläutert genug, als ihr Chor 
führer vor ihnen zu reiten, dass er die Hohen antrieb und den Niedrigen 
Bestätigung gab und sich aus den Einfältigsten selbst — ein anderer Or 
pheus — ergriffen Volk schuf? 
Da wogte es durch den Forst wie durch Harfenphalanx, und die Sonne 
floss in Fenstern wie eine Hostie, die klingt, und Orgelfugen bauschten sich 
über mir, dass mein Atem hochging wie Silberkugel im Springbrunn. Mir 
entgegen schritt Einer mit leuchtender Stirn, die aller Dinge Geheimnis ge 
spiegelt hatte und nun aufflammte steil in den Himmel hinauf, der auch 
mein Himmel ist: 
„Jetzt sing ich Dich, mein Vater, 
Mein Vater, Dich sing ich jetzt!“ 
Vor ihm her schwebten mit Palmen in den Händen drei Auserkorene, 
weiss in Weiss, den Weg zu bereiten: Laotse, Dostojewskij und der Jüng 
ling im feurigen Ofen, Novalis; und er umarmte mich und ich trat ein in 
seine unermesslich weite, weltenumwindende Umarmung. Und so hob er 
an, über alle Massen zärtlich und hüpfend und den Kranz über dem be 
sternten Haupte schwingend und sich in den Staub werfend und die nackte 
Brust weisend wie einen Schild: „Die Welt fängt im Menschen an. Im 
Lächeln, im Atmen, im Schritt der Geliebten ertrinke! Weine hin, kniee hin, 
sinke!“ und um seine Mundwinkel blühte es wie junger Klee: „Zartsein ist 
Weisheit und Milde ist Sinn“ und die Narben in seiner Stirn bestätigten 
sein Berufensein: „Rein will ich sein und Geist, das ist Schmerz“. Alle 
Waffen hatte er, waffenlos der er war, im Blitzen des Auges, das hiess: 
„Der Krieg“ und „Wortemacher des Krieges“ und „Der Weise an seine 
Feinde“, und nicht war Lächeln ihm fremd, und manchmal verweilte er und 
holte eine Flöte hervor und spielte sich so Süsses, dass die Lerchen über 
ihm schwiegen, das hiess: „Tempel-Traum“ und „Malcesine“ und „Mond 
lied eines Mädchens“. Und oft kniete er nieder und ballte sich selbst im 
Gebet und hatte sein Gethsemane: „Warum mein Gott —“, und seine zweite 
Bitte: „Komm heiliger Geist, Du schöpferisch!“ Oft auch gab er jeglicher 
Kreatur ihre Wegzehrung und redete der Demut zu und wusste Verflogenes 
mit grosser Güte zu erlösen, weiser als unsere Weisheit, und um ihn flat 
terten immer Genien, die Hessen farbige Bänder wie Wimpel wehen, von 
denen es grösste: „Spruch eines gestürzten Saturnus“ oder „Eines alten 
Lehrers Stimme im Traum“ oder „Luzifers Abendlied“ und „Sterbender im 
Verbrecherlazarett“ und „Romanze einer Schlange“. Und wenn er sich 
bückte und etwas aufhob, schwangen sich welche vor, die trugen Solches: 
„Alte Dienstboten“ oder „Hekuba“. Und das Verworfenste noch, das sich 
nicht getraute, aus Höhlen lugte, die letzte Eitelkeit nicht vom Halfter lassen 
wollte, nahm ein Hymnus über alle Hymnen in die Arme, und dessen Ueber- 
schrift verlosch nie und blieb wie Arion oder Aldebaran, das war „Jesus und 
der Aeser-Weg“. 
Wir aber wussten jetzt, dass wir uns erleben würden, und Gewissheit 
war mit Eins um uns wie Pfingstfeuer, und unsere Zuversicht betete ihr 
Bekenntnis mit, wie Koppensturm laut und in tausend Zungen;
	        
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