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tat.“ Was hat Alexander denn so Ungeheures getan? Er hat Schwächere
besiegt, hat unfähige Fürsten verjagt, hat den Ehrgeiz der Ehrgeizigen aus
genützt, die Kraftlosen eingeschüchtert, hat mit vielem Geld Städte gebaut
hat mit dem Blute der Seinen nicht gespart, weil er des Lebens nicht
achtete. Aber hat er die Me.ischen besser oder auch nur klüger gemacht ?
Hat er ein einziges Mal eine Seele erhoben und erquickt? Hat er einen
Müden weitergeführt, einen Stummen redend gemacht, einen Traurigen
froh ? “ Ich glaube nicht, dass an Werken derart unsern Geist etwas
angeht. Ausser dem Rythmus dieses Fugatos, restlos durchgehalten von
Anfang bis zu Ende, ohne Abgleiten ins Schachbrett-Determinierende (noch
so verlockend!) ohne Lauern an Abgründen, die doch kein Echo haben,
ohne fruchtlose Eisenathletik, da schon Pappgewichte ihre Wirkung tun.
Aber der Wein in den (teilweise) neuen Schläuchen ist alt und konservativ
wird am bewährten Rezepte festgehalten. Einst und Jetzt verknüpft sich
zwanglos durch augenscheinliche Familienzüge: durch Gefallen an Magie,
Schicksalstragödie, Ahnung, Trik und Wahl Verwandschaft; durch die Weise
des Mittelsatzes, die hier wie dort versäumtes Leben, um ein Schemen und
Phantom von Ruhm entglittenes Atmen der Stunde „Hinschlürfen, Hinstürzen,
Hinreiten in die Nacht des Wunschs und Wahns, dies eitle, verbrecherisch
eitle;Ungenügen“. Immer könnte Motto sein, was Wassermann unter die
Tafel „Casanova“ zeichnete.- „Impuls und das Blut sind die wahren Ver
teidiger jeder Irrung.“
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Ich spreche von Wassermanns neustem Buche „Das Gänsemänchen“?
Darin sind Stellen, die ganz prägnant beweisen, dass ein Rythmus sozusagen
unwillkürlich in der gesamten Luft eines Zeitbezirkes rauscht, Stellen, welche
„die Entwicklung der Rapidität des ästhetischen Apparates“ belegen, die
immerhin nur Lichtungen sind in einem weitläufigen Walde, Intermezzos
in dieser Jahresreise, die gemenget ist aus Postkutsche und D-Zug. Wes
halb dann das Ganze eine Masse darstellt, die auf unverhältnismässig langem
Rumpf einen Kopf von gewisser Eindringlichkeit zeigt.
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Buntheit und verquere Mechanismen eines barocken Glockenspiels, dessen
absonderlich bedeutungsvolle Figuren nach mysteriösen Gesetzen unver
mittelt in der oder jener Gruppierung zu bestimmten Stunden und unter
bestimmten Melodiesignalen herausrücken, ihren Zirkel abwandeln, knixen
und kleine, mit bizarren Ornamenten versehene Türen hinter sich zuklappen
machen. Der ihr Uhrwerk ablaufen lässt, war bei Balzac und E. Th. A.
Hoffmann in der Lehre. O Juwel solchen Raritätenkabinetts, Carovius
„Nero unserer Zeit“ Kleinbürger mit entfesselten Instinkten, Aufrührer von
konservativer Haltung, Feind einer bewegten Welt, in der du zur Unbeweg
lichkeit verdammt bist! (Schämen wir uns nicht alle ein wenig, wenn wir
dir ins Antliz blicken müssen ?) O Jason Philipp Schimmelweiss, Filou von
einem Profit-Sozi, Revolte-Parvenu, Perle von einem Geschäftspolitikus 1
(Bist du nicht in sothanen Zeitläuften bestätigter denn je ?) 0 Philippine,
Schäker-Alb mit menschlichen Eingeweiden, Arnim-Requisit, bist du nicht
längst tot? (Und fährst dennoch heute flammender denn je aus dem patrio
tischen Kartenhaus kriegsgeiler Gazetten ?) Mittendrin der Musikus, der
Dionysische, Gekreuzigte, wehevoll Schweifende (Wir 1) Im Faustkampf
mit Gott und und der Welt, wüsteneinsam und auf Gipfeln satansnah,
Dorn den Mittelmässigen, Beruhigten, Sesshaften und Fettauge im schmutzig
haftenden Brei ihrer Bierbank-Sckweinerei. Hingegeben (und nicht hinge
geben) zween Schwestern, der einen, die sein Weib ist, die er sich aus
dumpfem Triebleben zum feinsten Prüfstein modelte, der andern, der Kränze-
winderin, als die ihn tönen macht und seinen Fittichen Frühlingswind schenkt.
Im dritten Teil durch Höllen und Purgatorien den einzigen Pfad zum Men