76
hoch, spielte mit der Zunge im Mund und stellte sich angestrengt
vor, wie es wäre, wenn sie ihm mit einem Bleistift schnell ab
wechselnd in beide Nasenlöcher führe, zuvor die Hände und
Füsse binden, haha. . . . Dann schnappte alles in ihr aus
und nur ein unbestimmter Drang bohrte leise . . .
Später erinnerte er sich, dass es begann, als sie ganz plötz
lich „Schuft"! schrie, und dass ihre Stimme wie aus einem
Wald scholl. Dann kreischte sie Schmähung über Schmähung
heraus, log, übertrieb, erfand Unwichtiges, weinte tränenlos,
stiess mit den Füssen nach ihm und lächelte darüber. Da hielt
sie entsetzt inne, griff sich auf die Brust, ihre Augen wurden
schillernde starre Glaskugeln ... Sie warf den Kopf so fest
auf eine Achsel, dass es knackte, drehte ihn weit nach rück
wärts und rannte davon. . . .
... An einer Strassenecke lag halb eingetrockneter Kot.
Es packte ihn, seine Hände hineinzuwühlen. Gleichzeitig
wusste er, dass er es nicht tun könnte. Da wollte er es den
noch tun. Aber er vermochte es nicht. Ganz fern trieb es wie
Schluchzen auf ihn zu . . .
Walter Serner
Gesichte der Nacht
Einsam bin ich unter Bilder gebettet,
Die mich seltsam mit tiefer Stimme höhnen.
Stiegen gehn durch mein Herz, die von Schritten stöhnen,
Und Keller sind an meine Kniee gekettet.
Durch meine Fenster fallen Flagellationen
Blutend in mein Angesicht. Die Zeiger
Der Uhren machen mich weggeworfener, feiger,
Und der Stunden lange, launische Prozessionen.
Die Kälte der Höfe bricht in meine Kissen,
Durch mein Atmen jagen sich heiser die frierenden Hunde.
Jedes Tor ist an meinem Leib eine offene Wunde,
In die sich Bücherberge und Gebete verbissen.
Ueber meine Hände strömen die Strassen Licht.
Häuser liegen auf meiner Brust wie schwere Visionen.
Durch meine Fenster fallen Flagellationen
Blutend in mein Angesicht . . .
Max Herrmann, Neisse