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schlichthin genialisch beschworen war ohne Pose und Verrenkung, feierte in
den gepriesenen Büchern der Zeit umso geschminkter und mit desto falscheren
Brillanten behängen des Gruseins Gaukelfechterei einträglich Orgien. In
diesem Hexensabbath der günstigen Konjunktur bildeten Gustav Meyrinks
Erstlinge, Skizzen des Haarsträubens, sympathische Boten besserer Absicht,
trotz der Saloppheit im Ethos, der Gelecktheit des motorischen Apparates
und etlicher selbstgefälliger Spiegelpromenaden, weil sie Wert legten auf
peinlichste Akkuratesse ihrer Form, (die sie sich mit vollem Bewusstsein
nicht sehr hoch wählten, aber dann adäquat inne hielten), und nicht aus
der Berechnung und aus der Hand kamen, sondern aus dem Willen und
aus dem Hirn. Wieviel von diesen Verheissungen zur Bestätigung reifte,
soll jetzt Meyrinks Buch offenbaren. Das stellt sich das Problem dort, wo
der Zuschneider der Gattung bei fast gleicher Stoffwahl kaum ein Agens
vermutet, geschweige denn auch nur den ersten Ruck des Antriebes gestal
ten könnte. Das Niveau ist betont genug : nicht schreckhaftes Gepolter mani
pulierender Puppen im handfesten Raume, sondern atemlastende Vorgänge
auf jener Tiefenbühne, die hinter unsern geschlossenen Lidern lauert. Aus
Hinüberdämmern in traumumtrümmertes Prag, aus dem ohnehin ängstenden
der Wirklichkeit steigt die Leiter der blanken Schwerter hinan, von Ekligem
umwimmelt, kleinem eckigschlürfendem Alpgekicher benagt, bis der jähe
Sturz kopfüber in den unergründlichen Strudel und ein schales, wie betäubt
flaues Wiederauftauchen am alten, doch so veränderten Ufer mit einem
annehmbaren Akkorde das Karussell zum Stehen bringt. Dabei gibt es oft
unvermittelten Tempowechsel, und die Länge der Tour stumpft die Reibflä
chen merklich ab. Man wird in jenen anhaltenden, dem Unbewusstsein
nahen, alles zu einem Grau vermischenden Schwindel gekurbelt, aus dem
sich erst nach geraumem Hinschwanken auf dem Heimweg zum solider
fundamentierten Vaterhause als bleibend so ein paar hohe Bilder lösen: der
gierige Taubstumme, tappend um den rothaarig aufreizenden Judenbalg, die
Stimme einer durch wundersames Verhängnis Geliebten aufklingend zum
Echo eines Lustmörders Martyrleib, das übermenschliche Fanal eines Hasses
durch alle Sphären, und die ganze Grundstimmung eines vielhäutigen Kosmos
der Wesensvertauschung, Ichspaltung, Panik, logischen Teufelei. Aber am En
de behalten die Mathematiker sozusagen Recht, die Welt wird nicht „kaputt
gedacht“ und zugunsten lotrechter Komposition wird aus Hölle und Himmel
ein Kompromiss und ein unverbindliches Tableau. Auch stellt ein sozusa
gen „Pschütt“-naher Beisel-Witz immer wieder Jovialität her, und die Er
schütterung bleibt aus, die ein Humor erregt hätte, der bis dorthin sich
wagt, wo der grösste Schreck und die grösste Geborgenheit eins ist.
Max Herr mann (Neisse)
Im Hellerauer-Verlag in Dresden-Hellerau sind erschienen :
Paul Claudel: Der Ruhetag.
Paul Adler: Nämlich.
Paul Adler: Elohim.
Inhalt der vorigen Nummer:
Walter Serner: Kultur; Graphik; Peter Altenberg: Fischfang;
Alfred Wolfenstein: Zank zwischen Freunden; Max Herrmann
(Neisse): Kreuzweg; Leo Sternberg: Nebel; Aphorismen von
Blaise Pascal und Georg Christoph Lichtenberg; Bücherbespre
chungen; mit einem Originalholzschnitt (Vor dem Ballett) von
Christian Schad.