Volltext: Sirius : Monatsschrift für Literatur und Kunst (8)

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knüpfend an die Gefängnisstrafe, die die schöne Kreolin wegen 
eines Diebstahls bekommen hatte. Doktor Mal pries die Kokoite 
in allen Tonarten, aber es stand, wie stets bei ihm, nicht fest, 
ob er es nicht ironisch meinte. Schliesslich sagte er, die Kokotte 
sei ein verehrungswürdiges Geschöpf, das einzige Weib, das es 
verdiene, eine Heilige genannt zu werden. Germaine sagte darauf, 
er solle doch keinen Blödsinn quatschen, jedenfalls sei, wer stehle, 
nicht zu den Heiligen zu rechnen. Der Pfeilhuber fühlte sich 
dadurch beleidigt. Aber weder ich noch Germaine wussten, dass 
Fräulein Pfeilhuber im Kaufhaus des Westens Einkäufe zu machen 
pflegt, ohne ans Bezahlen zu denken. Und als nun die Pfeil 
huber sagte, sie sei im Zweifel darüber, wer besser sei, eine, 
die sogar stiehlt, oder eine, die bloss hurt, und dazu unerhört 
frech lachte, da sagte ich, um das Ganze zu beenden: ,Es handelt 
sich doch nur um einen Diebstahl. Ein Diebstahl wird nicht 
gemeiner, wenn eine Kokotte ihn ausführt. Jemand hat gestohlen 
und wird bestraft, bastad Die Pfeilhuber aber begann sich 
nun erst recht zu ereifern und verteidigte den Diebstahl als Sa 
botage, als Propaganda der Tat, wobei ihr Doktor Mal auf seine 
übliche Art sekundierte, indem er sie als leuchtendes Beispiel 
hinstellte. Und um Germaine, die sich doch musterhaft verhielt, 
nicht ohne sein zweifelhaftes Lob sitzen zu lassen, machte er 
eine geschickt versteckte Bemerkung, so ungefähr, als könne sie mit 
sich zufrieden sein, da sie schon mehreren Männern . . . Nun 
ist aber doch Germaine wirklich noch, fast möchte ich sagen ein 
unschuldiges Kind. Ich muss das doch wissen . . . ja . . ." 
„Jaa . .“ Scharoll dehnte das Wort, um, ohne mehr sprechen 
zu müssen, Kanulf zum Weiterreden zu veranlassen. Er wollte 
das jetzt mit einer Hartnäckigkeit, die ihm seltsam erschien, und 
sah, wie um sich das zu erklären, Kanulf scharf ins Gesicht. 
Dem wurde es dadurch unmöglich weiterzuerzählen. Gleich 
zeitig aber trat ihm ein Lächeln unter die Augen, das ihn unsi 
cher machte. Um sich darüber hinwegzuhelfen, entschuldigte er 
sich abermals: „Nämlich, obwohl in diesem Augenblick, als Ger 
maine eben dem Doktor Mal über den Mund fuhr, Sie sprachen . . . 
Obwohl Ihre Worte also ja doch richtig waren, wusste ich aber 
auch, dass Germaine noch nicht im Stande sei, sie ganz zu ver 
stehen, und fürchtete daher ... ich meine . . . dass sie ungehal 
ten werden könnte. Und das hätte zur Folge gehabt, dass ich 
zwischen zwei Feuer geraten wäre, na ja, nicht, Sie verstehen 
mich schon . . . Und das ist ja selbstverständlich, dass ich da . . . 
Ich habe übrigens am selben Abend Germaine die ganze Sache 
erklärt . . Ja . . .“ 
In der Nähe hatten sich Fremde niedergelassen. Scharoll 
musste ihr Gespräch mitanhören und da er die Sprechenden nicht 
sah, verursachte ihm jedes ihrer Worte Ekel. Später erstaunte
	        
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