Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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Der päpstlich-kaiserliche Universalstaat des Mittel 
alters leitete eine innige Verbindung der deutschen 
Völkerschaften mit dem zivilisiertesten Land der da 
maligen Welt, Italien, ein, und wenn die gewaltsamen 
deutschen Könige auch, sobald sie den Segen emp 
fangen hatten, nur Richtschwert und Vollstrecker des 
römischen Willens geworden waren, so verlieh ihnen 
diese Weihe doch die „Kulturmission“, Mehrer des 
Kirchengebiets und Verbreiter des Evangeliums zu 
sein, und damit jene heraldische Allüre einer von 
Redohstrompetern begleiteten theologischen Majestät, 
der die buntbäuerische Phantasie des deutschen Volkes 
noch heute nicht gewachsen ist. Jahrhundertelang ver 
breitete das Schwert der Kaiser den Christenglauben, 
wie es unter Mohammed den Islam verbreitete. Und 
nicht erst heute, schon zu Gutenbergs Zeiten findet 
sich in der Presse die Ueberzeugung, die deutsche 
Nation sei von Gott bevorzugt und von der Vorsehung 
auserwählt. Sie war aber nur von den Kardinälen 
auserwählt und vom Papste bevorzugt. Die deutschen 
Könige hatten sich diese ihre Stellung durch Bluttat 
und Gewalt ertrotzt. Ihre Kulturleistungen blieben 
weit hinter dem zurück, was gleichzeitig Arabien, 
Spanien und Italien in Kunst, Literatur und Wissen 
schaft leisteten. 
Noch heute sehen unsere deutschen Schulräte, Ge 
schichtsschreiber und Pädagogen nicht ein, daß keine 
Veranlassung vorliegt, auf diese Tradition besonders 
stolz zu sein. Deutschland war keineswegs das „mo 
ralische Herz der Welt“, wie Herr Scheler glauben 
machen will. Die Moralität war in Deutschland, von 
vereinzelten Mystikern und Troubadouren abgesehen, 
unausgebildet, abseitig und grob. Das Land war Rüst 
kammer und Arsenal für die weltlichen Ziele des 
Papsttums. In solchen Ländern ist wenig Raum für 
die Ausbildung verfeinerter Sitten. Profoß und 
Schrecken brachten den Päpsten die Barbarossas, 
Ottos und Friedrichs. Wen deshalb der Papst zum 
Kaiser salbte, dem legte er damit die Verpflichtung 
auf, solch „Apostolische Majestät“ (noch heute trägt 
der Kaiser von Oesterreich den Titel) hübe den ge-
	        
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