Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

235 
einer unvergleichbar idealistischen Führerschaft in 
den Krieg eingetreten. So unglaublich es klingen mag: 
Amerika führt Krieg um der Welterlösung willen. 
Ein Weltstaat, verbündet durch allgemeines Wohl 
wollen, dies ist das Ideal, welches Amerika gegen 
wärtig leidenschaftlich bewegt unld das Millionen 
seiner Jünglinge dazu treibt, sich in die Schlacht 
reihen Frankreichs einzureihen. Einzig die Kreuzzüge 
zeigen eine teilweise Aehnlichkeit mit diesem Krieg, 
an dem Amerika nun teilnimmt und den es als einen 
heiligen betrachtet — als den Kampf für eine demo 
kratische und föderative Gestaltung der Welt. 
Das Ideal selber erscheint, außerhalb Amerikas, 
und im trüben Licht der gegenwärtigen Welt Wirklich 
keit gesehen, beinahe absurd. Der Zustand der inter 
nationalen Anarchie ist so alt und die Menschen sind 
so wenig geübt im internationalen Vertrauen und 
Glauben, so wenig gewöhnt an Freiheit und Brüder 
lichkeit innerhalb der nationalen Grenzen, daß eine 
Weltverfassung, gegründet auf Wohlwollen und all- 
seitige Harmonie, nirgends möglich scheint als in den 
Traumgespinsten der Toren. So lange schon haben 
jene Vorstellungen von nationalen Pflichten und In 
teressen regiert, die den Menschen tief unter das 
soziale und gefühlsmäßige Niveau des Jungles stellen; 
so lange hat die Diplomatie sich mit Nichtigkeiten 
und verbrecherischen Torheiten abgegeben; so lange 
frönte die offizielle Welt ihrem blinden Glauben an 
die bewaffnete materielle Macht und verhielt sich 
skeptisch und zynisch gegen das Gesetz der Liebe und 
seine wechselseitigen Beziehungen — so lange dauerte 
dieser Haß und diese allgemeine Empörung aller 
gegen alle bereits an, daß man das Mißtrauen wo 
nicht gar den Spott politischer iwie akademischer 
Köpfe erregt, sobald man von einer Völkerverbrüde 
rung als der Lösung der gegenwärtigen Krise zu 
sprechen wagt. 
Denn noch immer sind wir in der — unter allen 
Umständen ebenso gedankenlosen als unsittlichen — 
Meinung befangen, daß Prinzipien und Handlungs 
weisen, die wir für den Einzelnen als verwerflich er-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.