Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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idee geboren. Die Macht eines Staates ist absolut und 
ewig; keine Regel, keine Kontrolle darf der Staat 
über sich dulden. Eine einfache Uebertragung des 
absolutistischen Prinzipes der inneren Politik auf die 
äußern Staatsbeziehungen. Der glänzendste Verfechter 
dieser Staatstheorie war Macchia veil. Seitdem ist diese 
Theorie von der Diplomatie aller Länder großartig 
ausgeb aut worden. Noch heute glauben die Diplo 
maten hiermit den Stein der Weisen zu besitzen. Der 
im 19. Jahrhundert aus der inneren Politik längst 
verjagte Absolutismus lebt in den ausländischen Be 
ziehungen der Staaten munter fort. Eine kleine An 
zahl Männer, wenn nicht ein einziger, entscheidet hier 
nach eigenem Gutdünken und Laune über die Ge 
schicke der Völker, nur von dem einen Gedanken be 
seelt, die Macht des Staates oder oft nur seines Hauses 
auf Kosten der andern zu fördern unid zu mehren. 
Eine moralische Bindung wird nicht anerkannt. Die 
Moral muß sieh vielmehr der Politik anpassen, muß 
sich vor dem egoistischen Staatszweoke beugen. So 
ruft Treitschke aus: „Die Moral muß politischer wer 
den!“ Der Zweck heiligt das Mittel, Macht geht vor 
Recht. Wohin diese Moral oder besser Unmoral führt, 
erleben wir heute mit Schrecken uüd Entsetzen. 
Der Widersinn solcher übermenschlichen Moral 
des Staates liegt auf der Haüd. Der Staat ist kein 
abstraktes Wesen, er hängt nicht in der Luft. Sein 
Gebiet liegt auf unserem Planeten, der Erde, er be 
steht aus Menschen, aus Mitgliedern der menschlichen 
Gesellschaft. So wie die Menschen je nach den Sitten 
und Anschauungen ihrer Zeit sich zu einander ver 
halten, so müssen auch die Staaten ihr Tun und Lassen 
nach dem Geist der Zeit einstellen. In den Zeiten des 
Mittelalters mochte wohl Macchiaveil alle Menschen 
für bösartig halten und danach seine Schlüsse ziehen. 
Mit tiefem Schmerz säh er die Verwilderung pöliti- 
scher Sitten und Zustände; blutige Fehde unter den 
Ständen des gleichen Landes war ihm tägliches Schau 
spiel. Diese Zeiten sind aber endgültig vorüber. Heute 
darf ein Gutsherr dem Leben oder Eigentum selbst 
des Geringsten seiner Einsassen nicht zu nahe treten,
	        
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