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idee geboren. Die Macht eines Staates ist absolut und
ewig; keine Regel, keine Kontrolle darf der Staat
über sich dulden. Eine einfache Uebertragung des
absolutistischen Prinzipes der inneren Politik auf die
äußern Staatsbeziehungen. Der glänzendste Verfechter
dieser Staatstheorie war Macchia veil. Seitdem ist diese
Theorie von der Diplomatie aller Länder großartig
ausgeb aut worden. Noch heute glauben die Diplo
maten hiermit den Stein der Weisen zu besitzen. Der
im 19. Jahrhundert aus der inneren Politik längst
verjagte Absolutismus lebt in den ausländischen Be
ziehungen der Staaten munter fort. Eine kleine An
zahl Männer, wenn nicht ein einziger, entscheidet hier
nach eigenem Gutdünken und Laune über die Ge
schicke der Völker, nur von dem einen Gedanken be
seelt, die Macht des Staates oder oft nur seines Hauses
auf Kosten der andern zu fördern unid zu mehren.
Eine moralische Bindung wird nicht anerkannt. Die
Moral muß sieh vielmehr der Politik anpassen, muß
sich vor dem egoistischen Staatszweoke beugen. So
ruft Treitschke aus: „Die Moral muß politischer wer
den!“ Der Zweck heiligt das Mittel, Macht geht vor
Recht. Wohin diese Moral oder besser Unmoral führt,
erleben wir heute mit Schrecken uüd Entsetzen.
Der Widersinn solcher übermenschlichen Moral
des Staates liegt auf der Haüd. Der Staat ist kein
abstraktes Wesen, er hängt nicht in der Luft. Sein
Gebiet liegt auf unserem Planeten, der Erde, er be
steht aus Menschen, aus Mitgliedern der menschlichen
Gesellschaft. So wie die Menschen je nach den Sitten
und Anschauungen ihrer Zeit sich zu einander ver
halten, so müssen auch die Staaten ihr Tun und Lassen
nach dem Geist der Zeit einstellen. In den Zeiten des
Mittelalters mochte wohl Macchiaveil alle Menschen
für bösartig halten und danach seine Schlüsse ziehen.
Mit tiefem Schmerz säh er die Verwilderung pöliti-
scher Sitten und Zustände; blutige Fehde unter den
Ständen des gleichen Landes war ihm tägliches Schau
spiel. Diese Zeiten sind aber endgültig vorüber. Heute
darf ein Gutsherr dem Leben oder Eigentum selbst
des Geringsten seiner Einsassen nicht zu nahe treten,