Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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das deutsche Volk einmal klar erkannt hat, wie tief 
die Militärdespotie in die Geschichte des Reiches ein- 
greifen konnte, wie oft es einer numerisch unbedeu 
tenden Koterie gellang, auch die besten Verfassungs 
grundsätze und Mehrheitsbeschlüsse durch geheime 
Maßnahmen unwirksam zu machen, sobald man be 
greift, daß in Preußen-Deutschland bloß scheinbar 
„konstitutionell“ regiert wird, muß das Verlangen 
nach radikaler Umbildung ebenfalls der Heeresleitung 
und dessen, was mit ihr zusammenhängt, ganz natür 
licherweise sich regen. Hier wird es wahrscheinlich 
die ungemütlichsten Meinungsverschiedenheiten zwi 
schen der Demokratie und den Anhängern des alten 
Zwangssystems — zu Deutsch „Militarismus“ — ab 
setzen. Die Hohenzoillern selber werden sich im Punkte 
ihrer Militärautokratie besonders zäh erweisen. Viel 
leicht wird es nur einen einzigen unblutigen Weg zur 
Verständigung geben: für martialische Zwecke mög 
lichst wenig Geld zu bewilligen. Freilich wird man 
dann zunächst wieder von „drohenden Kriegsgefahren“ 
hören. Kontrolliert aber das Volk durch den Reichs 
tag erst einmal tatsächlich und nicht bloß theoretisch 
die äußere Politik, so kann die kaiserliche Regierung 
beziehungsweise eine Militärpartei nicht mehr „feind 
liche Ueb er fälle“ ausklügeln. Das Säbelgerassel wird 
dann schon von selber aufhören. 
Mit diesem Gedanken haben wir bereits angedeutet, 
daß auch der diplomatische Betrieb reformbedürftig 
ist. Bislang hat sich der Kaiser die Vertreter des 
Reiches, oder genauer seiner eigenen Politik im Aus 
lande, fast durchweg in Kreisen gesucht, die mehr 
Wert auf Traditionen als auf Völker- und Menschen 
kenntnis zu legen scheinen. Wie der höhere Offiziers 
rang in den „bessern“ Regimentern, so ist auch die 
diplomatische Laufbahn, von ganz wenigen Aus 
nahmen abgesehen, ein Privilegium des Adels ge 
blieben. Sogar der gegenwärtige Reichskanzler 
v. Bethimann-Hollweg, dessen Familie, wenn ich mich 
nicht irre, im Anfang des vorigen Jahrhunderts ge 
adelt wurde, ist den uradeligen Junkern und den 
großen Feudalherren nicht vornehm genug. Schon sein
	        
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