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'erwachs enden ständigen Konflikte erreichten ihre
größte Schärfe und in der Zaberner Angelegenheit
ihren Höhepunkt gerade damals, als 'durch die Schaf
fung des neuen Landtages mit allgemeinem Wahlrecht
die Gesamtheit des Volkes Gelegenheit fand, ihren poli
tischen Willen zu bekunden. Nichts beweist schlagen
der als dies die Tatsache, daß die Abneigung gegen
Neu-DeutscMland in der Gesamtheit des Volkes ihren
Sitz hatte, :unid nicht etwa, wie man oft glauben machen
will, bloß bei einigen „nationalistischen Hetzern“.
Nun kam zu allem noch dieser Krieg, der plötzlich
den Elsaß-Lothringern den preußisch-deutschen Mili
tarismus in seiner ganzen Nacktheit vor Augen führte.
War der 1 Elsäßer in Friedenszeiten oft geneigt ge
wesen, politische Konflikte mit einem gewissen bissigen
Humor auszutragen, so wurde ihm jetzt dafür mit
furchtbarer Tragik von den Militärbehörden vergolten.
Immer tiefer wurde der Graben, der Elsässisch und
Deutsch im Reichsland schied, und ein- Geständnis von
zwingender Wucht legten uns die 'letzten Reichstags-
Verhandlungen mit dem Wort eines sozialistischen
deutschen Abgeordneten dar: „Vier Fünftel der elsässi-
schen Bevölkerung würden im Falle einer Volksab
stimmung ihrem Wunsch, nach Frankreich zurückzu
kehren, Ausdruck geben“! Wenn das ein deutscher
Reichstagsabgeordneter sagt, so ist sicher die Wahr
heit für Neudeutschland noch grausamer.
So ist durch die ganze Geschichte des Landes seit
seiner Annexion durch Deutschland erwiesen, daß sein
natürlicher Platz nicht hier ist, und daß seiner Bevöl
kerung, wie auch Frankreich gegenüber, durch den
Gewaltakt des Frankfurter Friedens Vertrages Unrecht
geschah. Soll wirklich Europa auf sittlicher Grundlage
neu erstehen, dann muß zuerst dieses doppelte Unrecht
wieder gut gemacht werden.