71
das Recht und gebe die Form. Seine früheren Auf
fassungen nennt Gierke ^doktrinäre Theorien und hohle
Schlagworte“. TJeber alle Dinge „entscheidet von
Rechts wegen die Macht“ (Seite 29)! Nebenbei bemerkt,
erachtet es Gierke für überflüssig, daß kleine Staaten,
wie z. B. Serbien, nach dem Kriege fortbestehen.
Den guten Beispielen hat Herr Köhler folgen müs
sen. Alle seine Theorien über die Schuld, über die
Verursachung sind hinfällig geworden, und so lehrt er
heute die unglaubliche Monstrosität, daß für die Tat
der Einzelnen das ganze Volk verantwortlich sei! Mit
solchen Lehren wird die Berliner Universität schwer
lich an Ruhm gewinnen;
FÜR ARMENIEN
von Claire Studer.
(Nummer 59, 3. November 1917.)
Wer von uns hätte es für möglich gehalten, als er
in der Schule von den Sohändlichk eiten der Ghristen-
verfolgungen hörte, daß er eines Tages — im 20. Jahr
hundert — Zeitgenosse von Greueltaten werden würde,
die jene Verfolgungen an Grausamkeit noch weit
übertreffen? Der einzige Unterschieid zwischen der
Barbarei von damals und der von heute ist der, daß
man damals sagte: „das sind Ketzer“, während es
heute einfach heißt: „das sind Armenier“. Aber wäh
rend damals die Heiden allein Jagd auf die Christen
machten, steht heute eine christliche Regierung, die
Einhalt gebieten könnte, mit verschränkten Armen
daneben und sieht stillschweigend dem Todeskampf
der Glaubensgenossen zu.
Wie weit übertrifft doch dieser Krieg die vergiftete
Phantasie talentloser Romanschriftsteller! Wie ein
neues Inferno muten uns die einfachen Schilderungen
armenischer Kinder oder die trockenen Berichte deut
scher Lehrer und amerikanischer Konsuln in Armenien
an! Schlimmer als alle Martern des Schlachtfeldes, die
noch in einem einigermaßen ehrlichen Kampfe bei
gefügt wurden, sind die teuflischen Qualen, unter