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Wir wissen heute: Wäre nicht manches Ereignis anders ausgegangen, als es
berechnet wurde, eine ganze Welt würde mit höhnischem Grinsen die Ermor
dung des neuen Geistes in seiner Generation, und den Sieg des Alters feiern!
fflffred ‘Döbfin: 0/e drei Sprünge des dJOang=ßun.
Roman. (S. Fischer, Verlag, Berlin.)
Das Buch des bisher unbekannten Döblin gehört zur Weltliteratur. Mit
einem einzigen Ansprung bricht Döblin durch die lokalen, psychologischen
oder kulturellen Sonderprobleme des deutschen Romanschrifttums der ver
gangenen neunzig Jahre, und gibt sich menschenwürdigen und geistigen Zielen
von höchster Intensität hin. Döblins Buch ist die vollkommenste Roman
schöpfung, wirkliche Schöpfung, die in deutscher Sprache seit dem Tode der
grossen Dichter geschrieben wurde. Döblins Buch ist eines des vollendetsten
Sprachkunstwerke, die die deutsche Literatur besitzt.
Die vergangene Epoche des Impressionismus, der Willenlosigkeit, des
beruhigten Relativismus: der Ungeistigkeit! — hatte nur auf diese beiden
Urteile ,,Roman“ und ,,Kunstwerk“ Wert gelegt. Aber würde nichts anderes
vom Werke Döblins zu sagen sein, so wäre es nie zu seiner schöpferischen,
umwälzenden Wirkung der Vollkommenheit gelangt. Das Buch ist, über
Erzählung und Kunst hinaus, das bedeutendste religiöse Werk, das seit Jahren
in Europa veröffentlicht wurde. Das Buch ist zuletzt das einzige revolutionäre
Werk der europäischen Literatur, Vernichtung und tiefste Neuzeugung in der
Zusammenfassung aller neuschaffenden Kräfte aus dem Geist, der Inspiration,
diktiert vom Wissen um einen absoluten Weltsinn. Seit Tolstois Tode war
niemand da, der solche Konzeption zu bilden gewagt hätte.
Ich treibe nicht Kunstkritik, sondern ich zeichne die heute mögliche Äus
serung des Geistigen in der Welt auf. Die grosse revolutionär-religiöse Schöpfung
Döblins ist ein Roman; der Roman spielt in China. Vorgang: Der Aufstieg
eines ganz einfachen Menschen bis zum inspirierten Geschöpfe Gottes in voller
Bewusstheit seines religiösen Dienstes; und bis zum Führer einer wirklichen
ungeheuren Volksrevolution aus dem Geiste, an der Millionen teilnehmen.
Nachschlagen in einem Geschichtwerk erwies mir, dass diese Revolution in China
wirklich stattgefunden hat, am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Döblins
Buch ist aber kein „historischer Roman;“ davor schützte es die historische
Ausserzeitlichkeit, die für unsere Augen das innere Leben Chinas hat. Das
geschichtliche Faktum ist für Döblin nur der Punkt, an dem selbstständige,
in sich lebende Schöpfung mit der wahrnehmbaren Wirklichkeit sich kreuzt
und zu einem in die wirkliche Welt hinauswirkenden Gebilde wird. Aber die
Romanmässigkeit der Döblinschen Dichtung ist nur der Untergrund, auf dem
sich ein Schöpfungsplan zum aktiven Handeln des Menschen aus dem Geistigen
erhebt. Aus diesem Buch bricht Wissen um eine höhere Weltordnung und
der verantwortliche Wille zu ihr.