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‘Bühne der Geistigen.
Wir, die uns unter die Führung des Geistes stellen für die Welt, nehmen
Maler und Dichter nicht als Eigenkünstler, sondern als elementare Blicke und
Münder zur Weisung unserer Menschlichkeit. Dass Maler mit Bildern Barri
kaden bauen und Dichter in die Politik greifen: Darin fühlt man sich leiden
schaftlich bestätigt durch des Dichters Walter Hasenclever Aufruf:
„Das Theater von morgen“. (In drei Nummern vom Mai 1916 der
Schaubühne; diese Zeitschrift trat während des Krieges in schwankender
Haltung — nach einem unerkennbaren Gesetz — für höchst Anständiges
aus menschlichstem Munde ein, aber auch der geistfernste Dünkel und die
philosophisch verkleidete Beschränktheit aus der Feder von Konjunktur
schreibern durfte breiten Raum beanspruchen.) Hasenclever: Ein Kamerad, der
die Änderung der Welt durch den Strahlendruck des Geistigen selbst für die
Sphäre der verfettetsten Wirksamkeit erstrebt, fürs Theater.
Er sagt nichts Neues. Zu jedem Anbruch der geistigen Entscheidung
einer neuen Epoche erging noch eine Proklamation fürs Theater des Geistes.
Hasenclever, diesmal, sagt es nur neugelebt, in unseren Worten.
Die Voraussetzung: dass das Theater wirkt; und die konsequente For
derung: dass es wirken soll. Sein Inhalt soll wirken. Nur Inhalt wirkt. Doch
jeder Inhalt, der wirkenswert ist, muss vom Theater zur Wirkung gebracht
werden. Hasenclevers Fundamentalforderung, seine Szene, weit übers Tech
nische hinausgreifend (und klopft hier nicht jedem Wissenden das Blut froh!):
„Äusserste Beschränkung des Theaters an organischer und unorganischer
Natur.“ Seine Regie: ,,Die Bühne werde Ausdruck, nicht Spiel!“ Sein Re
pertoire: „Bühne für Kunst, Politik und Philosophie.“ Endlich! Die Bühne
wieder als Inhalt. Wie gut und heilend. Die Bühne ein Raum für den Menschen
als Geistwesen. Der Dichter schöpft endlich wieder Mut, er steht draussen, auf
einem Punkt ausserhalb, den Rücken gelehnt an die ungeheure Himmelswand
des Absoluten, und er hebt manche Erde aus den Angeln; er hat wieder Mut, er
weiss und sagt es von sich (bescheiden, doch ist dabei das Ungeheuerste, Um
fassendste der Menschlichkeit gesagt): Ich bin der politische Dichter. Wieder. —
Ihm wird endlich seine Bühne. Dabei ist Hasenclevers Bühne nicht eine
Spur sandalenhaft, langhaarig, vegetarisch, temperenzisch, wagnerianisch,
feierlich, hehr, violett. Nicht im geringsten. Wie alle elementaren Dinge unserer
Menschlichkeit steht sie mit ausserordentlicher Selbstverständlichkeit da. Vor
allem: Sie schmeisst den Mimofatzke heraus, diesen blaurasierten, bäuchigen
Kerl mit hässlicher Haut, gemeinem Blut und mit einem Monumentalölkopf.
Der BühnenmensctThat gleich uns zu sein. Gleichartig uns! (Mindestens.)
Immer wieder am Beginn einer produktiven Zeit muss diese Forderung erhoben
werden. Verschweinung der Bühne in mittleren Epochen ist kein Beweis für
die Erforderlichkeit der Verschweinung.
Man denke aber an dies: das Programm des Aufsatzes ist nicht eine der
vielen Theaterunzufriedenheiten, die schliesslich alle nur Unzufriedenheit mit
dem Mangel der Bühne an Illusion sind. Hier geht es nicht mehr um Illusion.