Volltext: Zeit-Echo (3(1917), August-September)

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fflffred Woff enstein: 
ZUM EWIGEN GEDÄCHTNIS 
Glaubt ihr nicht, daß die Römer, welche dunkle beflorte Feste be 
gingen, zum Andenken eines abgesunkenen Abendsterns, eben dadurch dem 
Auf steigen eines Morgensterns entgegenkamen ? Ihr müßt es wohl glauben, 
denn beide Sterne sind nur einer. 
Jean Paul, Vorschlag politischer Trauerfeste. 
Wir verlangen voneinander: Vergesset den Krieg nicht! Wir rufen allen 
Gegenwärtigen und Kommenden zu: Behaltet den Krieg im Gedächtnis! genau! 
Mit einer Genauigkeit der Seele, die in sich selbst hinein ebenso scharf 
ausschwingt wie nach außen. Mit der Genauigheit einer leidenschaftlichen 
Stirn, die ihre Bewegungskraft in die Welt hinaus liebt, aber zugleich ihr 
Bewußtsein nicht hindert, sich fragend umzublicken, — von welchen 
Dunkelheiten sie geschoben werde. Mit der Genauigkeit eines sehenden 
Menschen, dem die Zahlen der Vergangenheit ein Winziges sind gegen das 
Lauern der Vergangenheitstriebe, die wir noch immer gegenwärtig unter 
dem Herzen tragen. 
Niemals wieder dürfen Menschen in der Schule sitzen, um den Krieg nur 
zu lernen. Er sitzt in uns und lehrt, furchtbarer als ein Lehrer. Und ihre zu 
erwartenden riesigen Darstellungen, ihr Zeigefinger, der herumfragt, ob 
Marne, Champagne, Somme, Arras die richtige Aufeinanderfolge der Ent 
wicklung sei, der Wissensstoff aller Klassen — soll unser Schon-Wissen 
nicht mehr überwuchern. 
Auch ich habe meine kindliche Lektüre noch allzu genau im Gedächtnis, 
wie die Kriege ausbrachen, sich unterschieden, scheinbar immer wieder zu 
Ende gingen, wie die Fürsten durchs Siegestor einzogen und ihre Unter 
gebenen ihren Untertanen wieder zuführten; aber mit schmetternden Trom 
peten doch immer nur in dem einen Lande. Im anderen war Trauer. 
Diesmal werden am Tage des Friedens wohl in affen Ländern freudig 
Erregte einziehen, denn es ist der Weltkrieg. Und doch, gerade diesmal 
sollte überall gleichmäßig die Trauer, — bescheidene, sich schämende, zu 
Strafe und Kampf gegen die eigene* Brust entschlossene Trauer in die 
Häuser zurückkehren und aus Häusern zu Boden blicken. Die Aufatmenden, 
— sie sollten sich ihrer Freude nicht zu weit vergessen, Scham müßte überall 
die Krieger vom unmenschlichen Marsch zurückbegleiten, stumme Musik. 
Aber ich sehe die Meisten stirnrunzelnd vor solcher Aufforderung den 
Rücken wenden. Es sind die Optimisten des Augenblicks; die es lähmend
	        
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