Volltext: Zeit-Echo (3(1917), August-September)

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mit Tuberkeln infizieren, im wahllosen, ungeklärten Verlangen nach 
innigster Gemeinschaft die Syphilis anhängen, und wir wollen uns wieder 
sprechen. 
Der Künstler von morgen hat weder den Ehrgeiz, ein Künstler, ein 
Könner, noch ein bloßer Wisser zu sein. Er verachtet alle Taschen 
spielerkünste. Ein tfflüsser sein, ist sein Lebensinhalt. Sein Aktions 
feld wird weniger das geschriebene Wort sein als das geschriene. Kirchen 
türen, Brunnenränder, Brückengeländer der Großstädte werden seine 
Tribüne sein, von wo er seine Blitze, Posaunenstöße, Zündungen und 
Tatbazillen schleudern, schmettern, verschenken und verteilen wird. 
Der Dichter der neuen Generation wird kein „Poet“ sein, vielleicht 
(äußerlich wenigstens) nicht einmal ein Dichter. Höchstens ein Literat. 
Er wird den Propheten des alten Bundes gleichen: den Marktplatz wird 
er zum Tempel machen; in der Börse wird er den Richterstuhl 
des Unbedingten errichten; seine Zunge wird wieder eindeutig werden, 
sich nicht hinter Symbole verstecken; Schweine wird er mit Schwein 
anreden und Ohrfeigen dafür dankend kassieren. Denn seine Berufung 
ist nicht, kinematographische Dramen des Lebens poetisch einzurahmen, 
sondern ewige Wahrheiten restlos auszusprechen. Das Schwein aber ist eine 
ewige Wahrheit; darum muß er die Welt vor die Entscheidung zwingen: 
Schwein oder Lichtl Er wird die banale Sprache des Volkes reden, 
aber in seinem Munde werden alle entwerteten Worte ihre ursprüng 
liche Kraft zurückgewinnen, verstärkt durch den langen Weg der Er 
fahrung. So wird er das Volk, das keine Spezialsprache kennt, durch 
unmittelbare Ausdrucksweise zur unmittelbaren Wahrheit zwingen, das 
heißt zur direkten Tat. So erfüllt er seinen Dichterberuf; denn Dichter 
sein, heißt Schöpfer im Geist sein, heißt den Geist ins Materielle über 
tragen, in Leben umsetzen. Der Dichter wird der eigentliche Politiker 
sein, der Kraftmotor des öffentlichen Geschehens. Aber er wird sich 
hüten, die aktive Rolle des Hetzers zum Leben, des Aufwieglers der 
ja sagenden Instinkte mit der passiven des Leithammels, des bezahlten 
sogenannten Führers zu vertauschen oder zu verwechseln. 
2. 
Denn es gibt nichts Erbarmungswürdigeres unter der Sonne, als 
die geschobenen Schieber, die Realpolitiker des Bauches, die nicht der 
Geist treibt, sondern das Parteiprogramm und (was schlimmer ist als 
dieser Buchstabe): der Opportunismus. Der politische Führer von heute,
	        
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