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LUDWIG MEIDNER:
NÄCHTE DES MALERS
Gewimmel von Pariserblau auf blanken Kreidegründen/ zynisches,
meckerndes Zinkgelb/ Weiß mit Elfenbeinschwarz: das Kolorit der
alten Bettlägerigen/ Permanentgrün neben Zinnobergeschrei/ Umbra,
helles Kadmium und feurig Ultramarin überhaupt muß das Da-
sein von fetten, strotzenden Ölfarbentuben eingeengt sein. Man muß
sich fest einschließen in vier aschengraue Atelierwände, vor großen
Leinewänden herumturnen, einsam schimpfen, wütend sein, sich krat-
zen und eine Donnerwetter-Palette in der Faust haben.
Ich denke mir die großartigsten Dinge aus, apokalyptische Gewim-
mel, hebräische Propheten und Massengrab-Halluzinationen — denn
der Geist ist alles, die Natur kann mir gestohlen bleiben. Aber das
genügt nicht: die ölstrotzenden Tuben sind fast noch wichtiger, weil
die Farben mitmalen, miterfinden, mitfeiern.
Ich stelle mich manchmal blöde und ausgeleert vor die Stalfelei und
grinse in meine unrasierten, sommersprossigen Backen hinein / da hüpft
aus den zähen Chrom-Fladen auf einmal ein Umriß heraus, das Zin
nober fängt zu schreien an und eine wunderbare Wirrwarr-Welt baut
Sich allmählich unter meinen Borstpinseln auf.
Ja, Farben, Farben ohne Zahl! Ich werde in eine Öl färben fabrik
einheiraten. Meine Frau wird mir je tausend Tuben Umbra, Ocker,
Kobalt, Kremserweiß und Krapplack in die Ehe bringen. Meine Frau
wird eine Eckige, Frenetische, Heiße sein. Sie soll meilenlange Arme
haben, mich fest an sich wickeln. Wir wollen uns in die enge Bettstatt
pferchen, Ida, und von gebrannter Umbra träumen. Deinen Kopf werde
ich dir abbeißen und Fangeball spielen in meinen grellen, zügellosen
Nächten.
Ihr Winternächte! Inbrunst, Wildheit bis früh um sechs. Her mit
dem schneeigen Flockenbogen. Mit zuckenden Fingern grab' ich den
Zimmermannsblei tief in den Sdmee. Ja, ich bin ein strenger Zeichner.