Volltext: Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917 (1)

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S. FRIEDLAENDER: 
GOETHES FARBENLEHRE 
»Error veritate simplicior« 
Vor allen andern Dingen, im Himmel und auf Erden, gibt es die Frei- 
heit von ihnen, den absolut freien Geist, den man, eben deswegen, 
nicht einmal nennen dürfte, weil er natürlich auch frei von Worten 
ist. Aber diese hyperätherische Beschaffen- oder vielmehr Unbesdiaf- 
fenheit der wesentlichen Voraussetzung alles irgendwie Beschaffenen 
setzt sie der Gefahr aus, vergessen oder verkannt zu werden. Wer, 
vor irgendeiner Bestrebung, »nichts«, dieses absolut freie Verhalten, 
voraussetzt, bleibe besonnen genug, deutlich einzusehen und zu erleben, 
daß dieses Nichts zweideutiger ist als alles Zweideutige: Alpha und 
Omega der Welt. Es enthält also konzentriert nicht nur alle Unmög 
lichkeit, sondern eben auch alle Möglichkeit der Welt — es regt in 
dem, der es nicht steril erlebt, alle göttliche Schöpferkraft auf. 
Deswegen ist es wohl richtig, daß wir, vor der Bekanntschaft mit 
irgend etwas (z. B. mit der Fa r b e), absolut »gar nichts« von ihm wissen 
können,- es ist aber falsch, dieses Gar nichts, diese Unwissenheit, simpel 
witzlos und steril zu verstehen,- vielmehr ist sie die konzentrierte All 
wissenheit, die nur um das Besonderte unwissend ist. Schöpfung 
aus dem »Nichts« entbehrt also nicht der Voraussetzung, sondern ist 
Schöpfung aus der weltgewaltigen Indifferenz in die Welt der 
Differenzen,- und das Nichts, die Indifferenz, ist gerade das notwendig 
vorauszusetzendeAllgemeine aller Möglichkeit von Vereinzelungen. 
Wer nun dieses Nichts aller Vereinzelung, dieses vorangängige 
Auf-ein-Mal der Welt vergißt, oder verkennt, hat bereits den reinen 
Blick zur Auffassung des Sinns dieser Vereinzelungen eingebüßt/ ihm 
entgeht das Geheimnis, die allgemeine Bedeutung seiner eigenen Vor 
urteilslosigkeit, die Schöpferkraft seiner selbst, als einerlabula rasa, 
die für alles, was einzeln sich auf ihr zeigen kann, längst prädesti 
niert war.
	        
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