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GEORG BÜCHNER:
DER HESSISCHE LANDBOTE
Erste Botschaft
Darmstadt, im Juli 1834.
Vorbericht
Dieses Blatt soll dem hessisdien Lande die Wahrheit melden, aber wer die
Wahrheit sagt, wird gehenkt,-ja sogar der, welcher die Wahrheit liest, wird
durch meineidige Richter vielleicht gestraft. Darum haben die, welchen dies
Blatt zukommt, folgendes zu beobachten:
1. Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb ihres Hauses vor der Polizei
verwahren,-
2. sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen,-
3. denen, welchen sie nicht trauen, wie sich selbst, dürfen sie es nur heim®
lieh hinlegen/
4. würde das Blatt dennoch bei einem gefunden, der es gelesen hat, so muß
er gestehen, daß er es eben dem Kreisrat habe bringen wollen/
5. wer das Blatt nicht gelesen hat, wenn man es bei ihm findet, der ist
natürlich ohne Schuld.
Friede den Hütten! Krieg den Palästen!
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es
sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage
und die Fürsten und Vornehmen am sechsten gemacht, und als hätte
der Herr zu diesen gesagt: »Herrschet über alles Getier, das auf
Erden kriecht«, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm ge®
zählt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag, sie wohnen
in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Ge®
siebter und reden eine eigne Sprache,- das Volk aber liegt vor ihnen
wie Dünger auf dem Adcer. Der Bauer geht hinter dem Pflug, der
Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit dem
Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und läßt ihm die Stoppeln. Das
Leben des Bauern ist ein langer Werktag,- Fremde verzehren seine
Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß
ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen.