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sie ihr, er war ihr Feind! Einst bekam er im Geschäft eine unerhört
große Summe in die Hand und behielt sie eine Nacht lang, obwohl
sie schon abends wäre abzuliefern gewesen. Es war die Nacht, in
der er mehrmals starb und mehrmals lebte wie noch nie. Als es Mor
gen ward, war er dem Abgrund entronnen, und was er fühlte, war
Erbitterung gegen sie, die Gläubigerin, die ihn so schwer bedrängte.
Er wolle sie einem braven Mann geben, beschloß er hart, —aber wie
flehentlich bat sein Herz es ihr ab, als sie am Abend vor der Tür
seines Geschäftes stand und ihn abholte. Schön und vornehm wie
keine, ging sie dennoch an seiner Seite durch die glänzendsten Straßen,
Hinter der erleuditeten Glastür eines Friseurladens sah man eingeseifte
Herren sitzen, streng würdig, aber doch abgerüstet. Im Vorbeigehen
beugte die Schwester sich vor das Gesicht des Bruders. »Da sitzen
sie,« sagte sie, und hatte um ihren karminroten Mund zwei Züge von
Haß und Hohn. Noch beim Abendessen dachte sie wohl daran, denn
unvermittelt lachte sie auf, und wie er hinsah, war es wieder dies Ge
sicht. Da sie merkte, er sah hin, verwandelte es sich, und ihre Augen
tauchten in seine, mit einer solchen Kraft von Mitleid, Dankbarkeit
und Wissen, daß er fühlte: »Geschehe was immer—,« »Wir wollen
doch noch unsere Partie spielen,« sagte sie, da ward ihm schon wieder
bang, denn es klang wie ein letztes Mal. Dann gab sie die Karten,
mit ihren Händen, von denen Duft wehte. »Du schwindelst wohl?«
sagte sie heiter, da er gewann,- und langsam, mit verlorener Miene
in die Lampe starrend: »Ach nein. Am schwersten wird man die
Anständigkeit los.«
Künftig zeigte er sich noch seltener, er durfte nicht länger sich da
zwischendrängen in den Lebenskampf, dem er sie nicht hatte entheben
können. Was sie fortan erlebte, gehörte nur ihr — und wohl noch
einem, aber nicht ihm. Sein waren die Angst, die Sehnsucht und der
Zorn, dies gehetzte Herz, das anbetete und verwünschte in einem.
Er wußte gleichwohl immer, was vorging,- ihm schrien es Dinge zu,
die kaum waren, ein Hauch in der Luft, ein Schatten in zwei Augen.