Volltext: Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917 (1)

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Menschen, Männer mit Männern, Frauen mit Frauen und natürlich 
auch Männer mit Frauen zu neuen sozialen Gruppen zusammen 
schließen. Das ist der Zusammenhang, in dem die Kameradschaft, der 
Whitmans schönste und innigste Gedichte gelten, mit all seinen 
Träumen von neuen Lebens- und Volksgestalten steht. Es ist ver- 
gebli Aes Bemühen modischer Pseudowissenschaft, in diesen Kamerad 
schaftsgefühlen irgend etwas Perverses oder Pathologisches oder gar 
Degeneriertes finden zu wollen. Wir müssen wieder lernen, daß starke 
Männer und starke Zeiten sentimental sind/ und daß schwächliche 
Zeiten und Generationen es sind, die sich scheuen, sich rückhaltlos 
und inbrünstig ihren Gefühlen, für das geliebteWeib, oder den innig 
geliebten Freund, oder das Meer und die Landschaft und das Weltall 
hinzugeben. Whitman war diese kosmische Liebe und dieser Über 
schwang des Gefühls zu eigen/ und nur aus diesem Chaos und Ab 
grund der Innigkeit kann, so ist sein Glaube, sein neues Volk erstehen. 
Auch hier, ohne daß er je auf Parallelen aus ist oder nur an sie denkt, 
deutliche Anklänge an die Geisteswelt des Künstlervolkes, der 
Griechen, und an ihre gesellschaftlichen Einrichtungen und Gewöh 
nungen. Eine besondere Richtung des Empfindens hat Whitman 
gehabt/ daraus auf eine besondere Veranlagung seiner Natur zu 
schließen, sei solchen überlassen, die sich auf einer Zwischenstufe der 
WissensAaftliAkeit befinden. 
Der besonderen Natur jeder gestaltenden Phantasie entspricht es, 
daß in allem Gefühl und in jedem Geformten die Erotik lebt. Hätte 
Whitman so wie Faust das Evangelium Johannis zu übersetzen 
unternommen, sein erster Satz hätte wohl lauten müssen: »Im Anfang 
war das Gefühl.« Er betont das Gefühl und damit die Poesie als den 
Anfang alles Lebens und alles Volkes aber auch ganz bewußt, weil 
er weiß, von welcher Seite her den Amerikanern die Gefahr droht: 
»Was der amerikanischen Bevölkerung am gefährliAsten ist,« sagt 
er, »das ist ein Übermaß von Wohlstand, »GesAäft«, WeltliAkeit, 
Materialismus/ was am meisten fehlt, . , , das ist ein warmes und
	        
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