Volltext: Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917 (1)

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Roberts Leben erschöpfte sich im Dasein des Sohnes. Und der Satz: 
jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, war ihm zur Weltanschauung 
geworden. Robert flog, die Bestellungen auszuführen, verbeugte sich, 
dankte fürs Trinkgeld, verbeugte sich, dankte, sparte, scharrte zu® 
sammen, rechnete, strebte, wurde Zimmerkellner, wies heimlichen 
Liebespärchen stille Zimmer an für ein paar Stunden, drückte Augen 
zu, sank in einen Abgrund der Liebe für seinen Sohn, schickte ihn 
auf die Universität, bekam graue Haare, war selig im Dienen, selig 
in seinem Sohne, besaß hundert Photographien von ihm, hatte die 
Kinderkleidchen aufgehoben, das Spielzeug: die Säbelchen, die Ge® 
wehrdhen, die Bleisoldaten. Das Mützchen, auf dem stand »S. M. S. 
Hohenzollern«. 
Der Sohn war zwanzig Jahre alt. Er bekam die Einberufung an 
einem Dienstag, bekam ein halbes Jahr später das Eiserne Kreuz. 
Und im Sommer 1916 bekam Robert die Nachricht, daß sein Sohn 
gefallen war. Auf dem Felde der Ehre. 
Eine Welt war erschlagen. 
Der Erschlagene las immer wieder: »Gefallen auf dem Felde der 
Ehre.« Den Zettel trug er bei sich in der Brieftasche, zwischen den 
Banknoten. Er las ihn, wenn ein Fremder kam und ein Zimmer ver® 
langte, wenn er an der Billardecke stand und Bestellungen erwartete, 
wenn er, von der Glocke gerufen, den langen Gang hinter lief, las 
ihn, bevor er das Zimmer betrat und nachdem er, die bezahlte Rechnung 
und das Trinkgeld in der Hand, das Zimmer wieder verlassen hatte. 
Er las ihn in der Küche, im Weinkeller, auf dem Klosett. »Gefallen 
auf dem Felde der Ehre.« Ehre. Das war ein Wort und bestand aus 
vier Buchstaben. Vier Buchstaben, die zusammen eine Lüge bildeten 
von solch höllischer Macht, daß ein ganzes Volk an diese vier Buch® 
staben angespannt und von sich selbst in ungeheuerlichstes Leid hinein® 
gezogen hatte werden können. 
Das Feld der Ehre war nicht sichtbar, nicht vorstellbar, war Robert 
nicht begreifbar. Das war kein Feld, kein Acker, war keine Fläche,
	        
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