Volltext: Veröffentlichung der November Gruppe (1(1921))

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Dem Bildhauer Max Reinhold Krause 
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D as war ein großer, tiefer Wald. Wir wissen nichts von seinem letzten Dunkel. 
Als sein tiefstes Geheimnis ihn erschütterte, versank er. Auf was für einem Boden 
mag er gestanden haben, der sich öffnete und begrub den großen Wald, als sein 
Herz erwachte und die ersten freien Schläge tat. Waren diese Schläge zu mächtig für 
den schwachen Boden, waren diese Schläge zu mächtig selbst für diesen großen 
Wald? Er versank in seine Geheimnisse. Wir wollen nicht versuchen, ihn zu deuten. 
Was forfgenommen wird aus dieser Welt, ohne erkannt zu sein, ist nicht bestimmt für 
sie, sondern es fließt schon in den Aufgang einer andern. Er war der Seltene, der 
sehr dunkel, sehr unerkannt durch die Zeit ging. Er wird sehr hell sein im Zeitlosen. 
Ganz umsonst hat er gelebt, dieser große Mensch und tiefe Geist; gar kein Fazit 
läßt sich ziehen aus seinem Leben, gar nicht zu erfassen ist er für irgend eine 
Rechnung. Sein großes Genie verstand es, sich den betastenden Pfoten zu entziehen. 
Er hat gesiegt: er blieb göttlich und rein und versank unverdorben in den Schoß 
seiner Urmutter, die ihn nun einem höheren Lichte schenken wird. 
Krause war Bildhauer. Im Grunde war er das, was man in dieser Zeit am besten 
sein kann: er war einer von denen, die freiwillig auf jeden Thron verzichten. Ein grosser 
Schüler war er, der sich vorbereitete, ein guter Lehrer zu werden. Ein sehr, sehr 
guter Lehrer, d. h. ein grosser Bergführer, der jedem Menschen über die schwierigen 
und gefährlichen zu seinem eigenen Gipfel führen wollte. Oder doch kühn klimmen zu 
sich selbst hinauf. Vorbild, unermüdlich steigend vom Sonnenaufgang bis Untergang. 
Es läßt sich die Größe dieses Lebens ermessen an allem, was ihm versagt war. 
Es gibt wenige Menschen, denen so viel versagt war wie ihm. Aber das, was ihm 
versagt war, hat ein bestimmtes Gesidit, ist ein unbedingtes Zubehör zu seinen un 
gewöhnlichen Möglichkeiten, die mit einem Satz ihr Ziel in der Wirklichkeit über 
sprangen. Sprechen wir nicht vom Glück. Es gehört nicht in diese Zeit, vom Glück 
zu sprechen. Wir haben alle zu leben und zu sterben für das Glück der neuen 
Menschengemeinschaft. Glü dis Verzicht ist heute kein Verzicht, sondern ein Zeichen der 
Berufung, einer höheren Idee zu dienen. 
Versagt wurde ihm die schnelle, erleuchtende, frühe und einmalige Vision der 
Idee. Sein Leben bestand darin, tausend Mauern niederzubrechen und so sich in 
schwerer Arbeit zu nähern dem weiten hellenlHorizonte. Er sah ihn nicht gleich, aber 
er witterte ihn immer. Es gibt keinen unwachen, keinen untätigen, keinen ungeweihten 
Augenblick in seinem Leben: er war ein Kämpfer nach dem freien Ausblick. Unnach- 
sichtlich zerbrach er die Ketten seiner Seele, diese vielen Zellen des inneren Ge 
fängnisses, das es uns so schwer macht, frei zu sein, auch wenn wir es wollen. Mit 
welcher Mühe er sie zerbrach, mit welcher Sorgfalt er jeden Winkel des Sklaventums 
zerstörte, um zu werden ein wahrer durch Selbstbefreiung glücklicher und beglückender 
Bruder aller Menschenbrüder, das enträtselt uns vielleicht dieses so früh geschlossene 
Buch seines Lebens, wenn wir uns darin vertiefen. 
Dieser Mensch, der mit der Wucht einer ungeheuren Seele die ihm eingeborenen 
Widerstände zerbrach, hatte jetzt zuletzt zerbrochen und niedergelegt das letzte 
steinerne Hindernis und stand, eine ungeheure Lichtinfensitäf von sich sendend, eine 
noch ungeheurere verheißend — auf seinem Gipfel. Weit um ihn lag der ersehnte 
Horizont, berauscht von diesem Glück war sein Herz, sein Geist. Der siegreich 
Vollendete ertrank fast unter dem ungeheuren Blühen seiner ans Licht gebrochenen 
Seele: .Prophet, Menschenbeglücker, Weltgestalter, diese Mission war ihm geworden. 
Er hatte seine Geburt erlebt. Otto Freundlich
	        
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