Volltext: Veröffentlichung der November Gruppe (1(1921))

Zwei bisher unbekannte 
Hauptwerke Alessandro Magnasco's 
sind auf den vorangehenden Seiten wiedergegeben. Sie 
befanden sich vor zwei Jahren in der Sammlung eines 
bekannten Schweriner Kunstfreundes, nach dessen Tode 
sie unerkannt und missachtet bei Seite gestellt wurden, 
ein Schicksal, das die Bilder des Genueser Meisters nicht 
nur einmal erfahren haben. Lebhaft denken wir an 
unsere Zeit, wenn wir in der von Carlo Giuseppe Ratti 
schon 1769 verfassten Lebensbeschreibung Magnascos 
lesen, dass manche Unverständige seine Malweise 
lächerlich fanden, weil sie glaubten, dass die ganze 
Schönheit der Malerei in äusserlicher Glätte oder in einer 
sklavischen Naturnachahmung bestände. Die hier abge 
bildeten Werke Magnascos sind in seiner späteren und 
reifsten Schaffenszeit enstanden. An Qualität sowohl als 
an Grösse (0,78 : 1,04 m) sind sie neben seine be 
deutendsten Schöpfungen figürlichen Inhalts (in denen er 
überhaupt sein Bestes gab) zu stellen. Zur Kenntnis 
Magnascos sind sie deshalb besonders wertvoll, weil sie 
die Zahl der uns bekannten Vorwürfe seiner Bilder um 
ein weiteres Sujet bereichern. In der durch Dr. Benno 
Geigers unermüdliche Entdeckerarbeit ermöglichten 
Magnasco-Ausstellung 1914, die zum ersten Male wieder 
das eigenartige Schaffen dieses Malers offenbarte, befand 
sich nur ein kleines Bild, das einen Harlekin und eine 
Köchin (wahrscheinlich dieselbe Frau, die sich auf dem 
Biide „Die Küche der Harlekins“ befindet) in zärtlicher 
Umarmung darstellt. Benno Geiger bezeichnet es (Nr. 11 
seines Magnasco-Katalogs, Verlag Paul Cassirer, Berlin) 
als das erhaltene Original aus einer verschollenen bur 
lesken Bilderserie, die angeblich das heroikomische Epos 
la secchia rapita von Tassoni illustriert. Es ist zweifeb 
los, dass die beiden jetzt wieder erkannten Bilder dieser 
verschollenen Bilderserie angehören. Da ihr Format 
ehemals oval war (die Ecken sind bei einer frühen 
Rentoilierung ergänzt worden), liegt die Vermutung nahe, 
dass Magnasco eine Reihe ovaler Bilder zu dem erwähnten 
Epos gemalt hat, das kleine Bild dagegen während der 
Bearbeitung des burlesken Themas aus einer gelegentlichen 
Laune des Malers entstanden ist. — Magnascos Malerei 
steht der unserer Zeit in vieler Hinsicht nahe. Seine 
kühne ungezwungene Technik ist impressionistisch, aber 
die Unumschränktheit, mit der er Menschen und Dinge 
formt, steht ausschliesslich im Dienste eines starken Aus 
drucks seiner seelischen Erregung. Oft fügt er seine 
Gestalten in strenge Geometrie und erhöht damit das 
Ekstatische ihrer Geste. Obwohl durchaus ein Maler des 
Barock schreitet er seiner Zeit doch weit voraus durch 
das unerhört Expressive seiner Formgebung. Klassizismus 
und Naturalismus räumten seine Bilder aus dem Wege 
und erst in unserer heutigen Geistesrichtung finden sie 
die Voraussetzung zur Erkenntnis ihres Wertes. 
Hans Siebert v. Heister 
Soest, 23. X. 11. 
— — Jetzt trat an mich die Frage heran, wohin nun. 
Es fiel mir Worpswede ein, ich wandte mich an Sie, und 
Sie nahmen mich dann auf. Sie führten mich nun 
glücklicherweise sofort zu Rembrandt hin, und was ich 
Ihnen dadurch, dass Sie mich mit diesem wunderbaren 
Mann bekannt gemacht haben, verdanke, weiss ich sehr 
wohl einzuschätzen. In Ihnen hatte ich nun eigentlich 
den ersten Menschen gefunden, der wenigstens nicht den 
Umstand, dass ich malte, lächerlich oder strafbar fand. 
Sie waren ganz anders wie das Bild, welches ich von 
einem Lehrer hatte. Ich hatte nie recht mit Menschen 
verkehrt, eben weil ich mich immer in die Einsamkeit 
zurückzog. Es war wohl schwer mit mir umzugehen, 
desto liebenswürdiger war es von Ihnen, dass Sie mich 
nicht einfach aufgaben, wie es manche andere getan haben 
würden. — Sehen Sie, Sie waren der erste Mensch, zu 
dem ich volles Vertrauen hatte. 
Soest, 10. XL 1911. 
Ich habe nun ganz vergessen, dass ich Ihnen 
schreiben wollte, wie ich zu den Bildern in Berlin ge 
kommen bin.*) Warum ich die grade so gemalt habe, 
\mm • ■ i» mm ■ ■■ ' ■> . , 
*) Ausgestellt auf der Juryfreien. 
wie sie nun mal sind, weiss ich nicht zu erklären. Ein 
Instinkt, auf den ich mich immer verlassen kann, diktiert 
mir das gewissermassen. Zuerst ist es mir ganz jämmerlich 
zu Mute. Dann weiss ich, dass ich mir bald wieder ein 
Bild leisten werde, welches sich wieder ganz von den 
anderen unterscheidet. Dann kommt eine Zeit, in der 
ich mir vorkomme wie ein gefüllter Schlauch der zum 
Platzen voll ist, und eines Tages, ehe ich überhaupt selbst 
weiss, wie es kam, ist ein Bild da. Als ich z. B. den 
Holzfäller malte, brannte mir der Kopf, dann war meine 
ganze Haut glühend heiss, sodass ich sie nicht an einen 
kalten Gegenstand halten konnte, ohne heftigen Schmerz 
zu empfinden. Dann hatte ich ein Gefühl, als ob mir 
das Innerste nach aussen und das Äussere nach innen 
gedreht würde und wieder umgekehrt. Dabei hatte ich 
noch ein ganz sonderbares Gefühl, ich weiss nicht, wie 
ich das bezeichnen soll. Glücksgefühl ist zu schal und 
eckig, um das auszudrücken. So ist es mir bei meinen 
letzten Bildern immer ergangen. Ich sage dies wohl- 
weisslich niemand, denn sonst sagen die Leute mir immer, 
ich wäre verrückt. — 
Soest, 15. XI. 11. 
Sonderbar ist es, dass es mir immer gottsjämmerlich 
zu Mute ist, wenn ich Zeichnungen verschicke oder sie
	        
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