Volltext: Veröffentlichung der November Gruppe (1(1921))

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Na, da hätten Sie aber was erleben können. Die ganzen 
Wände des Unterstandes wurden lebendig, sie waren 
bedeckt mit Tieren, Bäumen, Menschen, Bergen, Tälern, 
Flüssen und den unmöglichsten Dingen. Alles war ein 
Uniengewirr. Kriselig schlängelten sich die Linien. Dicke 
Konturen hielten sie dann fest, schwarze Abgründe 
kämpften mit silbernen Höhen. Blendendes Licht schlug 
immer wieder auf unheimliche Abgründe der Erde. Oh 
es war ein Wunder. Ich freue mich jetzt jedesmal, wenn 
ich in den Unterstand gehe. Dann stecke ich mir eine 
Zigarre an und alle Bilder, die ich so gern malen möchte, 
erschoinen in den Ritzen, Löchern und Winkeln der Lehm 
wände meines Unterstandes. 
Serbien, 6. 9. 16. 
Ich gondle in Serbien umher so richtig nach Herzens 
lust, wie sich das geziemt für solch einen Vagabunden. 
Oh was ist das hier schön, die Sonne brennt manchmal, 
dass die Erde und die Steine knacken, dann fühle ich 
mich so richtig wohl. Gezeichnet und gemalt habe ich 
schon sehr viel. Nein, es ist hier doch schöner, wie ich 
je gedacht habe. Die türkischen Städte ganz besonders. 
Manchmal bin ich wie besoffen und stürze mich wie ein 
hungriges Tier auf alle diese Dinge. Erleben, erleben 
und in sich aufnehmen. Leben wegen des Lebens und 
malen wegen des Malens. Den ganzen Tag malen und 
den Traum vielleicht endlich sichtbar werden lassen. 
• • • — • • • 
Nichts will ich werden, nichts erreichen, keine Rolle auf 
Ausstellungen spielen. Nur diesen Trieb zum Gestalten 
befriedigen. 
Oh, ich fühle mich unter dieser schönen Sonne so 
glücklich. Ich vergesse den ganzen Unsinn des Lebens. 
Ohne Sinn eine Welt erträumen, in der die unerhörten 
Missklänge der Welt, der fürchterliche Riss ausgestaltet 
ist zu einer grenzenlosen, wundervollen Farbensymphonie. 
Ich träume von unglaublichen Farbwundern. Aber hier 
im Orient hole ich mir die Gestaltari, die mir diese 
Symphonie tragen müssen. Als ich neulich Nachts in 
einem Schafstall schlief, ist mir wieder der alte Rembrandt 
erschienen, und hinter sich hatte er den alten Dürer 
stehen und eine lange, lange Reihe von noch mehr 
Leuten. Der alte Rembrandt hat mir da eine lange Rede 
gehalten. Da ist es mir wie Schuppen von den Augen 
gefallen. Ich glaube jetzt werde ich den wirklichen Stein 
der Weisheit finden. Wie ein Blitzstrahl erhellte eine 
Flamme die dunklen Abgründe, und da war das Wunder 
land. Grenzenlos wundervoll. 
Aber vorläufig fresse ich förmlich alles auf, was mir 
entgegentritt. Ich fresse wie eine gierige Bestie die 
Menschen, Tiere, Bäume und überhaupt alle Dinge. Aber 
glücklich fühle ich mich bei diesem Geschäft. Auffressen, 
auffressen. Ich Ungeheuer. — 
GEORG TAPPERT / HOLZSCHNITT ZU TH. DÄUBLER: DER NACHTWANDLER
	        
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