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Aphorismen
Jede Fortnwerdung kosmischer Schwingungen, jede
Vergegenständlichung einer Wesenheit, Verdichtung zum
Körperlichgreifbaren ist Übergang, jede Konstanz nur
scheinbar und der Gegenstandswert von Wesenswert ab
hängig, nicht umgekehrt. — Ich sehe gleichzeitig einen
Ammoniten und eine Tänzerin. In beiden Fällen Bewegung.
In beiden Fällen ins Unbegrenzte fortschwingend, nur
dass dort infolge der Erstarrung der Bewegung der Gegen
standswert, der Schwerpunkt unser Erleben belastet, hier
hingegen der Wesenswert durch die sichtbaren
Schwingungswellen noch verdeutlicht und gleichzeitig
verklärt wird. — Wenn man bedenkt, dass vor zehn
Millionen Jahren der versunkene Erdteil Lemurien, dessen
Rest das heutige Australien ist, von Menschen bewohnt
wurde, deren Entwickung zuvor nochmals tausend
Millionen Jahre brauchte, um in Schwingungen aus zwei
dimensionalen Schatten- und Schleierwesen zu dem zu
werden, was sie waren, so wird man die uns kaum in
Jahreszählung nennbare Zeit ahnen, die von der Bildung
jener Ammoniten bis zur Geburt dieser Tänzerin nötig
war und wie viele Myriaden Schwerpunktenergien jeder
Schwingung nötig sind, um aus dem All die Stoffe zu
erfassen, die ein Erleben der Inkarnation selbst, also das
Erleben einer Tänzerin braucht. Und wieviel sensible
und sensitive Wachheiten eine Tänzerin aufbringen muss,
um die Beziehung zwischen den aufnehmenden Tastnerven
und den durch Licht- oder Tonwellen (was im Absoluten
dasselbe ist) zu vermittelten, beständig aus dem Kosmos
auf alles Körperliche, sogenannte Konstante ein
strömenden Schwingungswellen herzustellen.
Es ist bezeichnend für unsere europäische Welt- und
Lebenserfassung, dass selbst die geistig regesten Menschen,
die Erfinder, nie bis zur letzten Tiefe ihrer eigenen Er
findung Vordringen. So hat Mälzel, der Erfinder des
Metronompendels, nie selbst entdeckt, dass er dadurch
auf bewusst physikalischem Wege das musikalische Zeit
gesetz dem kosmischen eingeordnet hat. Mälzel ging
von der Uhr aus und stellte seinen Taktmesser in Ab
hängigkeit von der Uhr, dachte aber, von dieser Erfindung
gebannt, gar nicht mehr daran, dass die Uhr nach dem
Tag, der Umdrehung der Erde um die Sonne, dass die
Sonne vom Gesetz einer höheren Zentralsonne abhängt,
und so weiter bis in die letzte unausdenkbare Gestirn
dynamik, bis zum Perpetuum mobile des Alls. — Doch
nur in diesem Vordringen bis zur letzten Tiefe ist unsere
Betrachtung aller Erscheinungen als tänzerische, das heisst
kosmische möglich, in dem wir den Gegenstand eines
organischen oder (auch dies ist im Letzten wieder organisch)
an-organischen Seins als Wandlung schauen, also seinen
Gegenstand dem Wesenswert so einordnen, wie eine
augenblickliche, vieles zusammenfassende Impression in
einem großen Schicksal ist, oder wie ein einzelnes Bild
in einem Hunderttausendmeterfilm.
Dem Europäertyp, dessen bezeichnendstes Erzeugnis
das Museum ist, wird es selbstverständlich sehr schwer
fallen, etwas nicht gegenständlich sondern wesentlich zu
sehen. Aber will man über den Tanz etwas aussagen,
so muss man eben, da es im Prinzip nicht auf den
Körper ankommt, sondern dieser nur Mittel ist, einmal
uneuropäisch kosmisch sehen. Oder man kommt dazu,
wie leider auch PaulNikolaus, lediglich über „Tänzerinnen“
zu schreiben, dessen Arbeit denn auch mit dem Satz
enden muss: „die Tragik der Tanzkunst ist, dass sie
keine bleibenden Werte hinterlassen kann“. Als ob nicht
gerade dies den Tanz über jene Künste stellte, die
„bleibende Werte“ das heisst also: Gegenstandswerte
hinterlassen, denn die wirklich bleibenden Werte sind
innerlich-seelisch-geistige, sind Werte des Allerlebens.
Doch das sei nur ein Beispiel dafür, wie hilflos wir
heutigen „europäisch Kultivierten“ ohne das Gegenständ
liche geworden sind und wie der Geist dieses müden
Europas anstatt wie jener aus Zeiten schöpferischer
Kulturen durch Farbe und Stein oder durch den Körper
gar neue Wunder zu schaffen, lediglich alles Lebendige
tot nachzubilden sucht und die rasende Bewegung der
Natur (etwa einer Wolke, eines Volges, einer Tänzerin)
„festhalten“ will. Dieser Geist kann natürlich den Tanz
nur als Ausdruck des Körpers, nicht des Kosmos, ver
stehen und wird bemüht sein, möglichst bald auch den
Körper einer Anita Berber in einem Museum unterzubringen,
„zu ästhetischen Studienzwecken“, eine Sphinx, von der
nur noch die Sage erzählt, dass sie der Erotik, der Kunst»
dem Religiösen diente, Tänzerin war, unter dem Einfluss
kosmischer Schwingungen stand und tausend Menschen
die Rätsel der Überwelt ahnen und Hunderttausende mit-
schwingen Hess im Rythmus des Alls.
Aber — sei es auch im Museum — das Wesentliche
des Lebens schwingt über alle Beschränkungen einer
Zeit hinweg. Der Ammonit ist das wertvollste Beispiel
dafür: eine Bewegung die selbst als erstarrt Jahrmillionen
überdauernd, in jedem Beschauer wieder zu schwingen
beginnt. — Es gibt wohl keine Form, die in gleichem
Rang Symbol des Tanzes sein könnte wie der Ammonit. —
Von den modernen Symbolisierungen kenne ich das aus
der Gotik entlehnte Signet der Hellerauer für den Rythmus
als beste Lösung. Das Symbol des Tanzes hingegen
kann nur die Spirale mit ihren kleinen Abteilungen,
Schwingung zu Schwingung, der Ammonit sein, der als
Sonnenwurm in den Trojaburgen des Nordens, in den
Spangen, Fibeln und sonst als Schmuck der Bronzezeit
immer wiederkehrt und von dem sich ebenso die von
Worringer betonte „unendliche Melodie der nordischen
Linie“ wie die merowingischen Bandornamente ableiten.
Diese beständig ineinander und auseinander rasende
Spirale, vielleicht der letzte Ausdruck der dem Menschen
zum Erleben des Alls gegeben ist, erfasst das Wesen des
Tanzes in letzter Consequenz des in die Tiefe des innersten
Seelencentrums und zur äußersten Periferie der Ewigkeit
wieder zurückstürzenden, zwischen Ich und All kreisenden
Lebens: Inkarnation und Musik zugleich. Hier ist Schwer
punkt und Schwingung, Gegenstands- und Wesenswert
im absolutesten Verhältnis zu einander.