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Der Wille zum^Primitiven als Zeichen einer neuen
Kultur zeigt sich naturgemäss am auffallendsten da, wo
der Intellekt bisher ein grösstes Recht beanspruchte, in
der Sprachkunst. Die Sprache ist das ärmlichste künst
lerische Ausdrucksmittel, das es gibt, da ihr Zweck die
Verständigung vorwiegend über die äusseren Beziehungen
zwischen Menschen ist und ihre Anwendung in der soge
nannten »Dichtung“ nur einen verhältnismässig kleinen
Komplex ausmacht. Das Wesen der Sprache ist nicht
dem von Farbe, Klang, oder Körper entsprechend, denn
die Sprache* ist nicht sinnlich (etwa durch das Ohr) greifbar,
sondern nur der Laut. Eine Dichtung ist stets nach der
Phonetik, nie nach der Sprache bewertbar, die aus der
Verquickung von Laut und Intellekt hervorgegangen ist;
Kunst^aber geht stets aus der Einwirkung der durch den
Menschen bewusst gewordenen und von ihm der Menschheit
durchs lautliche, klangliche oder plastische Darstellung
(jedes Ding das vergängliche Symbol eines Seins das
ewig ist) bewusst gemachten Intuition hervor. Der
Brief *
Qrötzingen, Amt Durlach 31. 3. 21
Sehr geehrter Herr v. Heister!
Wie ich Ihnen versprach, will ich jetzt einmal von
meiner Wandlung zum Gegenständlichen berichten. Ich
glaube nun allerdings, dass dieses’weniger eine persönliche
Wandlung, als vielmehr das Resultat der allgemeinen
Entwicklung ist, deshalb* muss ich etwas weit ausholen.
Die Kunsthistoriker pflegen die Entwicklungsgeschichte
der bildenden Kunst im 19. und 20. Jahrhundert als einen
Stammbaum der grossen Talente darzustellen, bei dem
aber die für sie von den Gelehrten beanspruchte jeweilige
Vaterschaft mir oft höchst zweifelhaft zuj sein scheint.
Ichjglaube vielmehr, dass sich die Entwicklung in der
Kunst nicht durch den Einfluss einzelner grosser Meister
auf die starken Talente der jüngeren Generation vollzieh^
sondern dass gerade die mittleren Begabungen das Gesicht
der betreffenden Periode bestimmen und durch ihre
überaus starke, vom Kunsthandel benötigte Produktion
und die verschiedensten Variationen des ursprünglichen
Themas den bestimmenden Einfluss ausüben, der zur
Weiterentwicklung und Prägung neuer Ideen durch
Einzelne wieder führt. Der Einfluss aus 2. und 3. Hand
ist meist der ausschlaggebende. Jedes grosse Talent ist
zwar die höchste Formulierung der Kultur seiner Zeit,
diese aber wieder der untrügliche Spiegel des Durch
schnitts der jeweiligen künstlerischen Produktion. Des
halb beziehen sich meine folgenden Darlegungen auf
diesen Durchschnitt.
Der Expressionismus unserer Zeit scheint; mir letzten
Endes gar keine umstürzende Bewegung, keine Reaktion
auf den Impressionismus zu sein, sondern eine konse
quente Fortführung desselben. Der Expressionismus ist
ebenso wie der Impressionismus bedingt durch das Prinzip
l’art pour l’art (oder noch besser l’artiste pour l’artiste).
primitive Mensch und der primitiv Schaffende'erfasst den
Laut und gibt Dichtung (also Kunst, Tatsächliches, Tat
sache), der Intellektualist benutzt die geläufige Sprache
und macht Literatur, die in jedem Fall das Erlebnis
erniedrigt und banalisiert. — Tatsachen unterscheiden
sich von Banalitäten dadurch, dass sie sich nicht, wie
diese beweisen oder begründen lassen. Die Tatsache,
ich bin! — Die Tatsache: das Leben! — Die Tatsache
als Abstraction. Abstraction ist Keuschheit. Scham vor
Banalität und Profanie. Eine Esoterik für Unbescholtene
Unbeengte, Unbevorurteilte. — Vorurteile: Die Tradition
die Konvention, die Richtung. Welches Urteil ist heute
kein Vorurteil. Welcher Mensch ist heute die Ekstase
seines Geistes! Es gab nie bessere Jongleure als unsere
Intellektuellen. Es gab nie bessere Taschenspieler. Sie
sind rechthaberisch bis zur Banalität: sie beweisen und
begründen, dass sie Recht haben: Literatur. — Der Mensch
beweisst nicht. Der Mensch ist.
Dietrich
Durch Anerkennung dieses Prinzips verzichtete zu
nächst der Impressionist in hochmütigem Klassenbewusst
sein auf die Resonanz im Volke. Auch der Expressionist
schloss sich gegen Leben und Gegenwart ab, hatte keinen
Zusammenhang mit dem Volke und dem, was die breite
Masse bewegte. Er horchte ausschliesslich in sich hinein.
Wie vorher die leisesten Veränderungen in der Luft durch
atmosphärische Einflüsse, so werden jetzt die leisesten
Schwingungen der Seele mit der empfindlichen Gewissen
haftigkeit eines Seismographen, zu registrieren gesucht
Es fragt sich da sehr, ob sich jemand für derartige sub-
ektive Nüancen interessiert. Die Kunst war eben ab
soluter Selbstzweck, sozusagen eine Spezialwissenschaft.
Trotz dieser gemeinsamen Grundlage des l’art pour
l’art stellte sich aber der Expressionist in Gegensatz zum
Impressionisten. Einmal hat er das Verdienst, durch
seine radikale Konsequenz das l’art pour l’art-Prinzip in
die höchste Potenz bis zu seinem wohlverdienten Ende
zu steigern, andererseits aber bei aller scheinbaren Auf
lösung und gewaltsamen Vernichtung der Formen (des
Gegenständlichen) die Grundlagen zum neuen Bauen der
Formen im Raum des Bildes zu schaffen.
Der Impressionismus führt zur flachen Dekoration,
der Expressionismus zur Raumgestaltung, abgesehen davon,
dass der Expressionismus dem Künster wieder die Sou
veränität über den Gegenstand gab, nachdem er mit
Kuben, Kegeln und Kreisen frei zu schalten und walten
gelernt hatte. Im Impressionismus lag ein Stück Mili
tarismus, die Natur rief dem Künstler „Stillgestanden!“ zu.
Am konsequentesten wurde der Gegensatz zum Im
pressionismus in jener Art expressionistischen Schaffens
durchgeführt, die man abstrakte Malerei nennt. Hier
scheinen mir die Ansätze zur wirklichen Reaktion auf
den Impressionismus zu liegen.