Rene ScfiicßeCe • Ai'sse
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in der Luft, zitternd, ungewiß, idi sah den mir wohlbekannten
Chevalier d'Aydin mit Verwunderung sich in diesem Bild bewegen,
die Sinne versagten mir, dann erwachte ich in Aisses Armen zur
Wirklichkeit... »Seht nur das Gespenst!« riefen die Leute, wenn
ich auf meinem Pferd durch die Straßen jagte. »Der Chevalier ist
blind und taub geworden,« sagte man bei Hof. Ich tat meinen Dienst
mit einer Art schlafwandlerischen Sicherheit, ohne mich einen Augen
blick bei etwas aufzuhalten, was nicht zu der Funktion gehörte, die
ich, wie mir schien, seit undenklichen Zeiten ausübte. Wie ich mich
so gehen und sprechen, lächeln, den Nacken beugen fühlte, empfand
ich mich selbst immer mehr als ein Gespenst.
Im selben Maße wuchs die Macht meiner Vereinigung mit der Ge
liebten. Es war ein Strudel, der alles anzog. Eltern, Kindheit, die
kleinen und großen Ereignisse meines Lebens, Hoffnungen und Be^
gierden, alles drängte hier zusammen und hatte nur noch Leben in
ihren Armen. Manchmal sah ich halbvergessene Menschen körpere
haft herbeiwandern, ich hörte ganz nah den Klang von meines
Vaters Stimme, der aus dem Fenster des Wohnzimmers nach mir
rief, ferne Gegenden kamen geschwommen, wie Treibeis, mit Häu=>
sern, Äckern, Herden darauf. Alles, was ich kannte, machte sich
vom Boden los, verließ die Welt des Scheins und kehrte in die
Heimat zurück und nahm Platz in meinem und der Geliebten einem
Herzen.
O wunderbare, lebenslängliche Umarmung! Sie offenbarte mir die
tiefe Güte selbst der Verzweifelten. Wie alle jungen Männer, hatte
ich genossen, um zu genießen, der Zerstreuung wegen, und weil
andere ebenso taten, und auch, um mich von einem Alb zu befreien,
— und die brennende Scham der Enttäuschung gekannt. Die ersten
Frauen, die sich geben, sind ja selten die Geliebten. Ich sah sie
wieder und erkannte allerhand Zeichen, die ich früher übersehen
hatte, daß in ihrem Lachen, in ihrem Fieberdurst, in ihrer bald ko
ketten, bald frechen Sachlichkeit, ihrer zerreißenden Neugierde alte
Mädchenträume um Erfüllung schrien. Sie betranken sich an der
Liebe, wie auch oft am Wein. Sie mußten hinaus ins Grenzenlose,
kostete es, was es wollte. Versuchten immer wieder die Himmelfahrt,
erwachten als Dirnen und begannen von neuem, die Männer ver*