912
Rene Scßicfiefe • Ai'sse
geworden. Sie schwebte durchs Zimmer, bereitete das Essen, ver^
weilte still und tat alles
der Selbstverständlichkeit
freien
Der Pächter und ein Knecht
Magd. Sie kannte weder Scham noch Furcht.
Eines Tages versuchte sie mühsam, sich aus meinem Arm zu er^
heben und fiel zurück. Da sagte sie:
»Du mußt meinen Beichtvater holen.«
Der Priester kam und traute uns.
waren Zeugen.
»Jetzt,« rief Ai'sse, »kannst du tun, was dir beliebt, bis du stirbst.
Dann werden wir Hochzeit halten im Himmel, denn du bist mein
Gatte. Du bist mein Gatte! Hörst du? Mein Gatte! Du gehörst
Gott und mir allein.«
In der Nacht begann der Todeskampf. Sie klammerte sich an
mich und litt knieend in meinen Armen, die sie hielten. Dann strich
sie mit beiden Händen langsam über meinen Körper und legte den
Kopf auf meinen Leib.
Ich hielt zwei Tage und zwei Nächte Totenwacht. Ai'sse lag nackt
und einsam ohne eine Blume, zwischen den Kerzen, sie schien mit
den Haaren an das große weiße Bett festgewachsen. Sie hüllten sie
in das Laken und legten sie in den Sarg.
★
Am Grab war die männliche Gemeinde von Saint-Sulpice ver
sammelt. Der Regent ließ sich durch den Grafen von Charolais ver^
treten. Als der Priester die letzten Gebete sprechen wollte, vergaß
er sie mit einemmal. Er starrte mit geröteten Augen abwechselnd
ins Grab und in sein Buch. Endlich sagte er einfach:
»Sie wird auferstehen!«
Kurze Zeit darnach folgte ich meiner Geliebten. Als ich spät
abends den gewohnten Weg zum Pächterhause ritt, scheute auf der
Brücke bei Suresnes mein Pferd vor einem Wagen und stürzte über
das Geländer in die Seine. Ich ertrank...«
Der Franzose legte seine Hände auf meine Knie und sah mir
lächelnd in die Augen.
»Ich versank und erwachte bald darauf in einem fremden Land. Ich
sah gleich, daß alle Frauen hier Ai'sse glichen und war nicht er^