Volltext: Die weissen Blätter : eine Monatsschrift (2(1915),7)

Rene Sdöicßefe • Aisse' 
913 
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////#///////////////////////A 
staunt, als ich sie selbst eines Abends wiederfand. Sie saß im großen 
blauen Salon unseres Gouverneurs, und ihre Augen suchten. Der 
Sohn des Gouverneurs hatte den Arm auf die Lehne ihres Stuhles 
gestützt und sprach gebeugten Hauptes auf sie ein. Unsere Blicke 
trafen einander und ließen nicht los. Ich trat hinzu und bat meinen 
Freund, mich vorzustellen. Aber ohne diese Förmlichkeit abzuwarten, 
streckte Aisse mir ihre kleine runde Hand entgegen... Und nun 
werden wir vielleicht bald wieder sterben, jedes für sich, und ein* 
ander scheinbar verlieren, um des Glücks willen, einander wieder zu 
finden. So wandern wir durch die grenzenlose Welt, wir beiden...« 
Sein Blick lag auf mir, ein Blick, den ich bei den Betern im Ganges, 
aber nie bei einem Europäer bemerkt hatte, der Blick, der hinüber* 
sieht, kampflos und weitoffen, stark wie die Stille des Mittags in 
Benares, ausgefüllt von der Sonne, in deren volle Glut sie dort mit 
demütig zurückgebeugtem Nacken hineinsehen. Ein Märtyrerblick, 
neben dem die Frauen, die ihr nasses Gesicht gleichfalls in die Sonne 
heben, sanft und mütterlich verblassen. Ich fand kein Wort der Er* 
widerung. Ich hörte die Ventilatoren im Hause rauschen, und vor 
der offenen Verandatür, die ein Moskitonetz verhing, balgten sich 
zwei kreischende Papageien. Die alte Frau hielt die Augen ge* 
schlossen, sie schien zu schlafen. 
Als fühlte er meine Verlegenheit und wollte mich daraus befreien, 
erhob der Chevalier sich unter kleinen artigen Bewegungen und fragte 
lebhaft: 
»Sie fahren an Pondichery vorbei? Schade, sehr schade. Sie hätten 
da eine alte französische Provinzstadt kennen gelernt, wie es sie 
in Frankreich selbst wohl nicht mehr gibt. Still und weiß mit großen 
Plätzen und winkligen Straßen, deren Namen die veraltete Schreib* 
weise des vorvorigen Jahrhunderts beibehalten haben... 
Nicht wahr, Doktor,« rief er dem Arzt entgegen, der eben ins 
Zimmer trat, »Monsieur sollte, Monsieur müßte einen Abstecher 
nach Pondichery machen?« 
Und in einem Geplauder voll launigen Liebreizes begleitete er 
uns bis in das Vorzimmer, wo er sich, plötzlich beunruhigt, von uns 
verabschiedete.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.