GCossen
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sei das alles auch noch so abenteuerlich,
skurill, wild, blutig und furchtbar ... Zivili
sation aber istVernunft, Aufklärung, Sät
tigung, Sättigung, Skeptisierung, Auflösung
— Geist.« Thomas Mann, der sich schon da
mals und früher mit Friedrich dem Großen
beschäftigte, erscheint der Gegensatz am
schlagendsten verkörpert in Voltaire und
dem König: »Das ist Vernunft und Dä
mon, Geist und Genie, trockene Hellig
keit und umwölktes Schicksal, bürgerliche
Sättigung und heroische Pflicht,- Voltaire
und der König: das ist der große Zivilist
und der große Soldat seit jeher und für
alle Zeiten.« Eine Parallele zwischen Na
poleon und Goethe wäre vielleicht, für
das nachrevolutionäre Frankreich, um das
es sich hier handelt, in jeder Hinsicht er
giebiger gewesen. Aber, wie gesagt, be
schäftigte sich Thomas Mann gerade mit
der Geschichte Friedrichs des Großen,
wenn auch — sein Abriß über Friedrich
und die große Koalition zeigt es in jeder
Zeile — mit jener Methode, die seiner
Geistesart entspricht, und die mit der Art
Voltaires mehr Verwandtschaft hat, als
mit dem dämonischen Überschwang der
Tage, wo Thomas Mann zur Abfassung
einer so geistreich, mit so zärtlichen Fin
gern zusammengesetzten, so ganz unleiden
schaftlichen Arbeit die Ruhe fand. »Ist
nicht der Friede« fragt er einmal, »das
Element der zivilen Korruption, die ihr
<der deutschen Seele) amüsant und ver
ächtlich scheint?« Verhielte es sich so, dann
verdiente der erste Kriegsaufsatz, den
Thomas Mann in den Septembertagen ge
baut und geputzt wie die Villa in einem
stillen Vorort hinstellte, ein repräsentatives
Produkt dieser »zivilen Korruption« ge
nannt zu werden. Wobei zuzugeben wäre,
daß im Giebel des reizenden Absteige
quartiers der Spruch nicht zu übersehen
sei: »Wir sind in Not, in tiefster Not.
Und wir grüßen sie, denn sie ist es, die
uns so hoch erhebt.«
Wie hoch?
Gerade so hoch, daß der Ritter Thomas
Mann, im Damensattel reitend zwischen
Tod und Teufel, seine unsäglich kokette
Gebärde hin über werfen konnte wie einen
Handschuh in die dampfenden Reihen der
Soldaten.
»Friedrich und die große Koalition«
wurde im Dezember geschrieben. Ich finde
den Versuch meisterhaft. Und, für den
mitfühlenden Leser, erschreckend. Trotz
seiner skeletthaften Dürre erinnert er an
gewisse Novellen von Stendhal aus der
Renaissance... Wie der »Mailänder« sich
von der üppigen Fleischlichkeit seiner Ge
stalten entzücken ließ, die, in roten und
in weißen Höllen aufgerichtet, singend am
Guten zerbrachen und im Bösen die wol
lüstige Vernichtung suchten, so gibt sich
der nordische Thomas Mann, noch in der
wachsenden Steigerung einer seltsamen
Erregtheit wie unberührt, das Schauspiel
eines Totentanzes, wo das klappernde Ge
bein sich in einem Satyrspiel bewegt, dazu
nicht gerade das beste Französisch parliert
wird,- von dämonischer Melancholie er
hoben zwischen Himmel und Erde hängt,-
um gelegentlich, nach genußvollem Studium
durch den Betrachter, und zum Schluß end
gültig mit einem Ruck in die Sterne zu
fahren. Das alles ist köstlich zugerichtet.
Es fehlt nicht an Einlagen im heutigen
sowie im Stil der Zeit. Das Rampenlicht
bleibt rosa, selbst dann, wenn der Knochen
mann wie der Gekreuzigte selbst an der
angespannten Schnur hängt. Das alles ist
ganz ausgezeichnet gemacht, und wenn die
Methode zuweilen an den »Fall Wagner«
erinnert, so zeigt gerade der Vergleich mit