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GCossen
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gegeben, über »die schriftliche Behandlung
architektonischer Angelegenheiten durch
Leute, die nicht vom Fach sind und denen
teilweise in Fachkreisen ganz allgemein
die Urteilsfähigkeit abgesprochen wird.«
Man hätte diesen Satz wenigstens sorg»
fähiger durchbilden sollen. Wird die Ur»
teilsfähigkeit »teilweise« oder »ganz all»
gemein« abgesprochen? Beides ist doch
nicht gut möglich. Oder ist gemeint, »ganz
allgemein« wird die Urteilsfähigkeit be»
stimmten Teilen der Kritikerschaft ab»
gesprochen? Das wäre eine irrige Annahme.
Der Satz gleicht also einer Fassade, die
teilweise ganz allgemein ist. »Der Archi»
tekt«, wurde in Cassel weiter gesagt, »kann
sich auf seinem Gebiete mit dem Stifte
völlig ausdrücken und bedarf der Feder
nicht, er bildet daher deren Gebrauch
nur ausnahmsweise aus« . . . Gottseidank!
Ich weiß nicht, ob der Formulator dieser
Sätze selbst Architekt ist, ob er sich auf
seinem Gebiete mit der Feder oder mit
• h
dem Stifte <in letzterem Falle wäre er ein
Fachmann) ausdrüdct,- die Quintessenz
seiner Worte soll jedenfalls sein: der Archi»
tekt wird vielleicht nicht gut schreiben,
aber das braucht er auch nicht. Wenn
er nur gut baut!
Wölfflin hat einmal behauptet, wer einen
Kopf gut zeichnen kann, verstünde sicher»
lieh, auch gut zu schreiben.
Der »Fachmann« Liebermann (»Meister
der Zeichnung«, Band 2) betrachtete den
Satz skeptisch und sagte seinerseits: »einer,
der keinen Strich zeichnen kann, ist un»
fähig, über Malerei zu schreiben.«
Ich finde, daß Liebermann hier von einer
bewundernswerten Weitherzigkeit ist. Er
läßt implicite zu, daß jemand überMalerei
»schreibe«, der nur ein bißchen »zeichnen«
kann. Ist das nicht allzu nachsichtig? Wäre
es nicht vielleicht empfehlenswerter, jeman»
den, der »einen Strich zeichnen« kann,
doch nur zum Schreiben über Zeichnungen
zuzulassen, und zwar doch recht eigentlich
nur über Strichzeichnungen? Ich an Lieber»
manns Stelle würde mir eine Äußerung
dieses Jünglings über meine Zeichnungen
jedenfalls verbitten und verlangen, daß er
zuvor eine Probe »Wischzeichnung« vor»
legte. Und gar ehe ich ihn an gemalte
Bilder heranließe . . . mindestens sollte er
zuvor eine Pflaume oder eine Nasenspitze
in öl malen!
, ★
Der Schrei nach dem Fachmann!
Fast dürfen die Kunstschriftsteller stolz
sein, daß er erhoben wird. Denn das Ge»
schrei beweist, daß die Schriftsteller im
Grunde die reinere Auffassung der Kunst
besitzen.
Was bedeutet das Geschrei nach dem
Fachmann ?
Es bedeutet die Auffassung der Kunst
als ein technisches Können — im völlig
materialistischen Sinne. Selbstverständlich!
wenn die Kunst ein »Können« ist, dann
hat nur das Urteil eines Menschen Sinn,
der dasselbe »kann«. Über den Plan einer
Turbine hat ein Urteil nur, wer auch Tur»
binen bauen kann. Den Brückenbau eines
Pionierdetachements kann nur bewerten,
wer die technischen und militärischen Vor»
aussetzungen und Folgerungen kennt, also
der Fachmann. Wenn aber ein Architekt
von seiner Arbeit sagt: »ich wünsche und
anerkenne nur das Qrteil von Fachleuten«,
dann sagt er nichts anderes als: »was ich
gemacht habe, ist nicht Kunst«.
Kunst ist manifestierter Geist. . . Geist,
in körperliche Gebilde gewachsen. »Fächer«
hat dieser Geist nicht, und um ihn fassen
zu können, ist Voraussetzung nur, daß
man selbst »Geist« ist. Fächer hat frei»
lieh das Können. Der eine kann Kinos